Fehlerhafte Heilbehandlung - Ein Überblick

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1. Haftungsgrundlage

Dieser Beitrag richtet sich an interessierte Mediziner jeglicher Fachrichtung sowie an Patienten und soll einen Überblick über die Grundlagen der ärztlichen Verantwortlichkeit und Haftung aus einer fehlerhaften Heilbehandlung geben.

Zwischen Arzt und Patient kommt ein so genannter Dienstvertrag (Behandlungsvertrag) zu Stande. Bei schuldhafter Verletzung der aus dem Behandlungsvertrag resultierenden Sorgfaltspflichten stehen dem Patienten vertragliche Schadensersatzansprüche zu.

Christian Borsbach
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht
Herweghstr. 100
06114 Halle (Saale)
Tel: 0345/6846207
Web: http://www.sozialrecht.pro
E-Mail:
Prüfungsrecht - Prüfungsanfechtung, Hochschulrecht, Versicherungsrecht, Medizinrecht

Daneben trifft jeden behandelnden Arzt die allgemeine Rechtspflicht, den ihm anvertrauten Patienten nicht körperlich oder gesundheitlich zu schädigen. Diese Pflicht ist in den §§ 823 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) statuiert und gilt für jede ärztliche Behandlung, unabhängig davon, ob diese nun mit oder ohne einen expliziten Behandlungsvertrag erfolgt. Eine Verletzung dieser Pflicht wird als deliktisches Handeln bezeichnet.

Vor der Reform des Schadensrechts war eine Haftung für deliktisches Handeln vor allem im Hinblick auf das Schmerzensgeld relevant, da die vertragliche Haftung lediglich den Ausgleich der materiellen Schäden vorsah. Nach dem zum 1. August 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Schadensersatzrechts kann heute auch aufgrund der vertraglichen Haftung Schmerzensgeld als immaterieller Schaden verlangt werden. Umgekehrt wird das Vermögen des Patienten (z.B. die Unterhaltsbelastung für ein ungewolltes Kind als Vermögensschaden der Patientin eines - fehlgeschlagenen - Sterilisationseingriffes) weiterhin nur im Rahmen der vertraglichen Haftung geschützt. Die jeden Arzt treffenden Sorgfaltspflichten, seien sie vertraglichen oder deliktischen Ur-sprungs, sind jedoch inhaltlich deckungsgleich.

2. Behandlungsfehler im weiten Sinn

Im Rahmen der Beziehung zwischen Arzt und Patient schuldet der Arzt dem Patienten grundsätzlich keinen bestimmten Heilerfolg, sondern seine Dienste in Form einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis) durchgeführten Behandlung. Angesichts der Kompliziertheit naturwissenschaftlicher Vorgänge, die vor allem bei der Frage der Kausalität einer Maßnahme für einen behaupteten Schaden von Bedeutung sind, wäre es im höchsten Maße unbillig, den Arzt für einen konkreten Heilungserfolg einstehen zu lassen. Gleichwohl muss er bestrebt sein, den bestmöglichen Heilungserfolg zu erreichen und Schäden zu vermeiden.

Liegt ein Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst („Kunstfehler") vor, führt dieser Umstand allein aber noch nicht zu einer Haftung des Arztes. Zusätzlich muss ein Verschulden des Arztes festgestellt werden. Das Vorliegen dieser beiden Merkmale führt auch zum mittlerweile allgemein gebräuchlichen Begriff des „Behandlungsfehlers" als Haftungsvoraussetzung.

Wichtig und aus unserer Erfahrung für viele betroffene Patienten zunächst schwer verständlich ist, dass der behandelnde Arzt auch nur dann für Schäden einzustehen hat, wenn ihn begründet der Vorwurf des Verschuldens trifft. Dies resultiert daraus, dass die Arzthaftung aus Vertrag oder Delikt keine Gefährdungshaftung, sondern vielmehr eine verschuldensabhängige Haftung ist. Nicht der schlechte Ausgang der Behandlung per se, sondern erst das Abweichen vom Standard der medizinischen Wissenschaft wird zum Grund für eine Haftung gegenüber dem Patienten. Bewegt man sich innerhalb des Standards seines Verkehrskreises, handelt man mit der erforderlichen Sorgfalt und damit ohne Schuld.

Anknüpfungspunkte medizinisch vorwerfbaren Verhaltens finden sich in allen typischen Abschnitten eines Behandlungsverlaufes. Betroffen sind die Bereiche Diagnose, Aufklärung, Behandlung sowie die während der gesamten medizinischen Betreuung erforderliche Dokumentation, die Einhaltung der Schweigepflicht und des Datenschutzes. Anhand des regelmäßigen Ablaufes einer medizinischen Behandlung soll nachfolgend auf mögliche Behandlungsfehler in den jeweiligen Behandlungsabschnitten eingegangen werden.

3. Diagnosefehler

Unter Diagnosefehlern versteht man die fehlerhafte Interpretation bereits erhobener Befunde. Die Unterlassung einer gebotenen Diagnosemaßnahme stellt einen Behandlungsfehler dar.

Da jede noch so sorgsam erstellte Diagnose mit mehr oder weniger Unsicherheitsfaktoren belastet ist, kommt eine Haftung lediglich dann in Frage, wenn die unrichtige Diagnose als völlig unvertretbare Fehlleistung gewertet werden muss oder elementare Befunderhebungen unterlassen worden sind oder eine erste Arbeitsdiagnose vorwerfbar nicht überprüft worden ist. Insofern bewertete der Bundesgerichtshof (BGH) Fehlinterpretationen bisher nur sehr zurückhaltend als Behandlungsfehler. In der Rechtsprechung des BGH geht es in erster Linie um unterlassene Kontrollbefunderhebung oder Nichtsicherung der Arbeitsdiagnose. Sofern ein Diagnosefehler anzunehmen sein sollte, stellt dieser nach Auffassung des BGH in der Regel keinen groben Behandlungsfehler dar. Ein grober Behandlungsfehler kann erst bei wirklich „fundamentalen Diag-nosefehlern" angenommen werden (zuletzt BGH, Urt. v. 8.7.2003 - VI ZR 304/02).

4. Aufklärungsfehler

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der BGH haben in zwei grundlegenden Entscheidungen klargestellt, dass ein Patient nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der ärztlichen Behandlung ist. Als solches besitzt er gegenüber dem Arzt ein Recht auf Selbstbestimmung, aus dem die ärztliche Verpflichtung zur Selbstbestimmungsaufklärung gegenüber seinem Patienten resultiert.

Diese Konstellation birgt ein vielfältiges Spannungspotenzial, da grundsätzlich jeder – auch lege artis durchgeführte – Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten eine strafbewehrte Körperverletzung darstellt, wenn der Eingriff nicht durch die wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt wird. Da eine Einwilligung nur wirksam ist, wenn der Patient weiß, wozu er einwilligt, treffen den behandelnden Arzt vielfältige Aufklärungspflichten, um eine selbstbestimmte Entscheidung des Patienten zu ermöglichen. Das Hauptfeld gehört dabei der Risikoaufklärung, bei der die Erläuterung der Risiken der Behandlung im Vordergrund steht. Hinzu treten die Diagnoseaufklärung, wo der Patient über den medizinischen Befund informiert wird, sowie die Verlaufsaufklärung, die sich auf Art, Umfang und Durchführung der Therapie bezieht.

Wesensverschieden von den Arten der Selbstbestimmungsaufklärung ist die therapeutische Aufklärung. Sie ist eine Form der Sicherungsaufklärung und dient im Wesentlichen der Aufklärung des Patienten im Hinblick auf ein therapierichtiges Verhalten zur Sicherung des Heilungserfolges. Mit erwähnt werden soll auch die wirtschaftliche Aufklärung zum Schutz des Patienten vor finanziellen – insbesondere versicherungsrecht-lichen - Überraschungen.

Aufgrund der Beweislastregeln spielen heute in Arzthaftungsverfahren zunehmend Aufklärungsfehler eine wichtige Rolle. Allein aus einem Aufklärungsfehler – bzw. der Nichtnachweisbarkeit einer ordnungsgemäßen Aufklärung – kann sich ein Schadensersatzanspruch selbst dann ergeben, wenn die Behandlung als solche fehlerfrei ausgeführt worden ist. Für die erfolgte Selbstbestimmungsaufklärung als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung ist nämlich nicht der Patient, sondern der aufklärungsverpflichtete Arzt beweispflichtig.

5. Behandlungsfehler im engen Sinn

Als haftungsrechtlich relevanter Behandlungsfehler im engeren Sinn ist der vorsätzlich oder fahrlässig begangene Verstoß gegen die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft im Rahmen der Behandlung der festgestellten Erkrankung an sich anzusehen. Dabei können Behandlungsfehler durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden.

6. Dokumentationsmängel

Ärzte sind Sie durch eine Vielzahl von Vorschriften neben einer ordnungsgemäßen Behandlung auch zu einer ausreichenden und sorgfältigen Dokumentation verpflichtet. Ohne Unterscheidung zwischen vertrags- oder privatärztlicher Leistungserbringung ergibt sich die Dokumentationspflicht zunächst - auch ohne ausdrückliche Vereinbarung - aus dem mit dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag. Daneben ergeben sich Dokumentationspflichten aus den entsprechenden berufsrechtlichen Regelungen (z.B. § 10 I Musterberufsordnung-Ärzte 1997), landes- und bundesrechtlichen Vorschriften, vertragsarztrechtlichen Vorgaben, sowie aus weiteren Sonderfällen (z.B. Röntgenverordnung, Strahlenschutzverordnung, Geschlechtskrankheiten¬gesetz, Ju-gendarbeitschutzgesetz).

Im Zusammenhang mit einer zivilrechtlichen Haftung steht die Dokumentationspflicht als Nebenpflicht aus dem Arzt- oder Krankenhausvertrag im Mittelpunkt der Betrachtung. Als solche dient die ordnungsgemäße Dokumentation vor allem therapeutischen Belangen. Inhalt und Umfang der Dokumentation richten sich somit auch nicht danach, wie am besten Beweise für einen möglichen Prozess zu sichern sind, sondern vielmehr danach, dass der Arzt und jeder Kollege, der mit dem Sachverhalt befasst ist, den Behandlungsfall ohne Schwierigkeiten rekonstruieren kann und eine medizinische Weiterbehandlung in Kenntnis aller individuellen Umstände des jeweiligen Behand-lungsfalles leicht möglich ist.

Nach der Rechtsprechung des BGH soll die Messlatte für den erforderlichen Dokumentationsumfang die medizinische Üblichkeit sein. Deshalb kann aus dem Fehlen von Eintragungen im Krankenblatt nicht der Schluss gezogen werden, die entsprechende diagnostische oder therapeutische Maßnahme sei nicht vorgenommen worden – allerdings nur soweit die Aufzeichnung dieser Maßnahme medizinisch nicht üblich ist.

Das Unterlassen einer ausreichenden und sorgfältigen ärztlichen Dokumentation führt zwar zu keinem eigenständigen Haftungsanspruch, allerdings können hier gegebenenfalls zu Gunsten des Patienten Beweiserleichterungen hinsichtlich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers eintreten. Das Fehlen einer entsprechenden üblichen Dokumentation indiziert zunächst, dass die Maßnahme tatsächlich unterblieben ist. Das Unterlassen der Maßnahme kann dann wiederum als Behandlungsfehler oder gar als grober Behandlungsfehler zu werten sein. Letzteres kann wiederum zu weiteren für den Patienten günstigen Beweiserleichterungen hinsichtlich der erforderlichen Kausalität zwischen Fehler und Schaden führen. Versäumnisse bei der Dokumentation haben also vor allem beweisrechtliche Folgen, was sich im Prozess häufig streitentscheidend – zu Gunsten des Patienten – auswirken kann.

7. Schweigepflicht

Eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht kann neben berufsrechtlichen, arbeitsrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen auch zivilrechtliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Patienten nach sich ziehen.

Ausgangspunkt ist der Eid des Hippokrates. Der statuiert zwar keine rechtliche, sondern nur eine Pflicht zu einer besonderen menschlichen Haltung, straf- und sanktionsbewehrte Rechtspflichten hinsichtlich der Schweigepflicht ergeben sich jedoch gleichwohl aus dem Strafgesetzbuch (§ 203 StGB) und der Musterberufsordnung für Ärzte (§ 9 MBO-Ä). Danach verbietet die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich ein unbefugtes Offenbaren von Patientengeheimnissen, wozu sowohl behandlungsbezogene Tatsachen und Unterlagen als auch anamnetische Zusatzinformationen gehören. Unbefugt ist die Weitergabe solcher Informationen an Dritte, wenn kein Offenbarungsrecht oder keine Offenbarungspflicht besteht.

Ersteres ergibt sich zunächst natürlich aus der ausdrücklich erteilten Einwilligung des Patienten, die ihn betreffenden Informationen weiterzugeben. Darüber hinaus kann sich, auch ohne Einwilligung des Patienten, ein Offenbarungsrecht aus berechtigten Arztinteressen oder aus Notstandsgesichtspunkten ergeben. Offenbarungspflichten finden sich hingegen in verschiedenen Vorschriften (z.B. SGB V, Transplantationsgesetz, Infektionsschutzgesetz u.a.).

Die Einwilligung durch den Patienten kann weiterhin auch stillschweigend erfolgen oder aber auch mutmaßlich angenommen werden. Wesentliche Vorraussetzung für eine stillschweigende Einwilligung sind die Einwilligungsfähigkeit des Patienten und eine nach außen erkennbare Willensäußerung, die in den Patientenunterlagen zu Beweiszwecken dokumentiert werden sollte. Die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung ist wesentlich schwieriger. Sie kann nur unter sehr strengen Voraussetzungen angenommen werden. Zum einen muss der Patient nicht mehr zu einer Willensäußerung nach außen im Stande sein (z.B. bei Bewusstlosigkeit). Außerdem darf erkennbar kein Geheimhaltungsinteresse des Patienten gegeben sein oder die Weitergabe muss im Patienteninteresse liegen und dessen Geheimhaltungsinteresse wesentlich überwiegen.

Aus Notstandsgründen (§ 34 StGB) kann eine Weitergabe gegen den Patientenwillen unter Umständen dann in Betracht kommen, wenn vom Patienten selbst eine Gefahr für Andere oder ihn selbst ausgeht (z.B. HIV-Infektion). Zuvor muss allerdings zwingend versucht werden, den Patienten unter Aufklärung der Gefahrensituation zur Einwilligung in die Offenbarung zu bewegen und die Offenbarung gegen seine Willen angekündigt werden.

Weitere Offenbarungsrechte für den Arzt ergeben sich aus seiner Interessenlage im Rahmen eines zu führenden Honorarrechtsstreits oder eines gegen den Arzt gerichteten Strafprozesses. Diese Offenbarungsrechte sind jedoch auf die an den Verfahren Beteiligten (z.B. Gericht, Gutachter, Ermittlungsbehörden, Haftpflichtversicherer) beschränkt.

8. Datenschutz

Der Anspruch des Patienten auf Schutz vor unbefugter Weitergabe seiner Daten erstreckt sich insbesondere auf seine Krankenunterlagen. Mit umfasst sind aber auch in Zusammenhang mit seiner Behandlung z.B. zu Forschungszwecken angefertigte sonstige Unterlagen. Vor einer Veröffentlichung von Unterlagen, die dem Datenschutz unterliegen, ist die schriftliche Erlaubnis des Patienten einzuholen. Krankenunterlagen dürfen grundsätzlich auch nicht ohne Weiteres an staatliche Ermittlungsbehörden herausgegeben werden, da hier ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO besteht. Da dieses allerdings nur zu Gunsten des Patienten wirkt, kann sich ein Arzt im Rahmen eines gegen ihn wegen eines Behandlungsfehlers geführten Ermittlungsverfahrens nicht auf das Beschlagnahmeverbot berufen.

9. Schlussbemerkung für Betroffene

Wenn Sie als Patient nach einer medizinischen Behandlung den Verdacht haben, dass diese fehlerhaft war, sollten Sie sich so früh wie möglich und rechtlich kompetent beraten lassen. Dazu können Sie auch Ihren ggf. bestehenden Anspruch auf Beratungshilfe nutzen.

Wenn Sie als Arzt sich mit einem Behandlungsfehlervorwurf konfrontiert sehen, leiten Sie dies in der Regel sofort an Ihre Berufshaftpflichtversicherung weiter. Dort wird die Angelegenheit zunächst intern bearbeitet und später ggf. ein externer Anwalt beauftragt. Ganz gleich bei welcher Versicherungsgesellschaft Sie versichert sind, steht Ihnen allerdings das Recht auf freie Wahl eines Anwalts Ihres Vertrauens zu. Dieses Wahlrecht sollten Sie nutzen, um die kompetente Beratung und Vertretung durch einen Spezialisten Ihres Vertrauens sicherzustellen.


Rechtsanwalt Christian Borsbach
Kanzlei Bobach, Borsbach & Herz
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