Verdacht auf Abrechnungsbetrug nach Plausibilitätsprüfung durch die kassenärztliche Vereinigung

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Der Gesundheitsmarkt in Deutschland setzt jährlich ca. 280 Mrd. € um. Allein in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind es ca. 170 Mrd. €. Ein solcher Markt ist anfällig für Korruption, Betrug und Missbrauch.

Nicht nur aus diesem Grunde nimmt die Bedeutung des Strafrechts als Bestandteil des Arztrechts immer mehr zu. Die wachsende wirtschaftliche Konkurrenz und eine deutlich gestiegene Sensibilität der Kostenträger und Ermittlungsbehörden haben in der jüngeren Vergangenheit die Anzahl der Ermittlungsverfahren wegen Abmahnungsbetrugs in die Höhe schnellen lassen.

Sascha  Kugler
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Die Überprüfungen seitens der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) werden immer detaillierter und umfassender. Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen fallen deshalb schneller auf.

Auf Grundlage des § 106a SGB V prüft die Kassenärztliche Vereinigung (KV) bei jedem abrechnenden Arzt oder Psychotherapeuten die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen. Die KV überprüft in der sog. Plausibilitätsprüfung, ob eine rechtliche Fehlerhaftigkeit einer ärztlichen Abrechnung vorliegt, in dem sie die Anzahl der abgerechneten Leistungen pro Tag im Verhältnis zu dem verbundenen Zeitaufwand setzt.

Im Anhang 3 des EBM sind in tabellarischer Form die Kalkulations- und die Plausibilitätszeiten für jede EBM-Leistung einzeln aufgeführt. Anhand dieser Plausibilitätszeiten werden die abgerechneten Leistungen eines Vertragsarztes oder Psychotherapeuten in ein Tages- und Quartalsprofil umgerechnet. Werden bestimmte Grenzwerte bei der Tagesprofil- bzw. der Quartalsprofilprüfung überschritten, gilt eine Abrechnung als auffällig. Eine Auffälligkeit und somit der Verdacht der Implausibilität liegt vor, wenn

  • der Leistungsumfang von 46.800 Minuten (780 Stunden) im Quartal überschritten wird oder
  • der Arzt oder Psychotherapeut in einem Quartal an mehr als zwei Tagen über 12 Stunden in seiner Tagesprofilzeit abrechnet.

Im Gegensatz zu früher bringt die KV nicht mehr jeden Anfangsverdacht zur Strafanzeige. Bei Auffälligkeiten schaut die KV nun genauer hin, weil die Vergangenheit gezeigt hat, dass ein großer Teil der auffälligen Ärzte nicht in betrügerischer Absicht falsch abgerechnet haben, sondern aufgrund des relativ komplexen und unübersichtlichen EBM-Regelwerkes lediglich unbewusst falsch abgerechnet haben. In diesem Fall wird die KV den betreffenden Arzt auf den Abrechnungsfehler aufmerksam machen, eine rechnerische Korrektur vornehmen und den möglicherweise entstandenen Schaden zurückfordern.

Kommt die KV bei ihrer Überprüfung jedoch zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um eine unbewusste Falschabrechnung handelt, weil z.B. ein System zu erkennen ist, kann der Disziplinarausschuss einer KV je nach Schwere der Verfehlungen neben der Wiedergutmachung des entstandenen Schadens Geldbußen bis zu einer Höhe von 10.000 € und in gravierenderen Fällen das Ruhen der Zulassung bis zu zwei Jahren verfügen.

Werden solche Maßnahmen verhängt, ist die KV natürlich verpflichtet die Krankenkassen zu informieren. Die Krankenkasse und die KV können im Zulassungsausschuss auch den Entzug der Zulassung aussprechen.

Unabhängig davon wird die KV allein schon aufgrund ihrer aus § 81a SGB V resultierenden Verpflichtung, die Staatsanwaltschaft von einem Verdacht auf Abrechnungsbetrug zu unterrichten, Strafanzeige erstatten.

Die Zielsetzung des Strafrechts geht weiter als die des Disziplinarrechts bzw. Rechts der Zulassungsentziehung. Diese dienen allein dem Präventionsgedanken. Das Strafrecht dagegen soll begangenes Unrecht sühnen und bestrafen, sog. Grundsatz der Schuldvergeltung.

Diese unterschiedlichen Zielsetzungen sind letztlich der Grund dafür, dass das Strafverfahren vom Disziplinar- bzw. Zulassungsentziehungsverfahren unabhängig und abgetrennt ist. Gelangen Informationen über fehlerhafte Abrechnungen eines Arztes an die Staatsanwaltschaft z. B. auch durch die Anzeige eines Patienten, der in der Abrechnung betrügerische Absichten des Arztes vermutet oder durch die KV, wird in der Regel ein Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs gegen den verdächtigen Arzt eingeleitet.

Der Abrechnungsbetrug ist in der strafrechtlichen Praxis ein vergleichsweise junges Phänomen, der unter den Tatbestand des § 263 StGB Betrug subsumiert wird.

Nach dem Wortlaut des Paragraphen macht sich derjenige strafbar, der „in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält."

Mit anderen Worten macht sich ein Arzt wegen Abrechnungsbetrug strafbar, wenn er wissentlich und/willentlich darüber täuscht,

  1. eine bestimmte ärztlich abrechenbare Leistung erbracht zu haben und diese Leistung trotz nicht Erbringens abrechnet oder
  2. eine erbrachte Leistung bewusst zu hoch abrechnet

und sich auf diese Weise bereichern will.

Weil in den meisten Fällen nicht nur eine einzige falsche Abrechnung vorliegen wird, liegt gar ein besonders schwerer Fall des Betruges vor, der als Mindeststrafmaß eine sechsmonatige Freiheitsstrafe vorsieht.

Im Zentrum der Ermittlungen stehen somit Abrechnungen nicht oder nicht vollständig erbrachter, also fingierter Leistungen. Denkbar sind auch Abrechnungen nicht persönlich erbrachter Leistungen; die bewusst falsche gebührenrecht1iche Bewertung; die bewusste falsche Zuordnung von Leistungen; die Abrechnung von objektiv unwirtschaftlichen Leistungen, die auch als solche vom Arzt erkannt wurden; die Beschaffung eines nicht genehmigten Assistenten oder Vertreters sowie der Strohmann ohne Zulassung, auch wenn dieser ordnungsgemäß abrechnet.

Dabei liegt das Problem nicht nur in der Versuchung, sondern auch im gegenwärtigen Abrechnungssystem. Der Arzt erbringt seine Leistung und stellt diese zunächst ohne Fremdkontrolle selbst in Rechnung. Dabei ordnet er seine Leistung der entsprechenden EBM-Ziffer der Gebührenordnung eigenständig zu.

Dieses komplexe und unübersichtliche System ist kaum überschaubar, weshalb Abrechnungsfehler aufgrund von Fehlern oder Irrtümern nahezu unvermeidlich sind. Gleichzeitig wird an dieser Stelle das Tor zur bewusst fehlerhaften Abrechnung weit aufgestoßen. Eine weitere Fehlerquelle bildet die Bewertung von Leistungen, weil die Zuordnung einzelner Leistungen nicht unmissverständlich definiert wird und über die Auslegung der Leistungslegenden einzelner EBM-Positionen keine Klarheit herrscht.

Die Grenze zwischen einer strafbaren Handlung und eines straffreien Irrtums liegt genau in diesem unüberschaubaren Bereich.

In den meisten Fällen wird eine objektiv falsche Abrechnung vorliegen. Ein Arzt der eine zwar objektiv falsche Abrechnung einreicht macht sich nach § 263 StGB jedoch nur dann strafbar, wenn er in dem Bewusstsein der Einreichung einer falschen Abrechnung vorsätzlich gehandelt hat. Eine nur fahrlässig fehlerhafte Abrechnung, die auf einem Irrtum des Arztes basiert, erfüllt nicht den Tatbestand des strafbaren Abrechnungsbetrugs.

Fahrlässige Falschberechnungen können allein im Wege des Disziplinarrechts bzw. im Verfahren der Zulassungsentziehung sanktioniert werden, nicht jedoch strafrechtlich, mit der Folge, dass das Strafverfahren einzustellen ist.

Die Abgrenzung zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln ist daher für die Beantwortung der Frage, ob ein strafbarer Abrechnungsbetrug vorliegt, der Dreh und Angelpunkt. Ein Vorsatz ist nur dann zu bejahen, wenn der Nachweis gelingt, dass der Arzt die KV oder einen Privatpatienten bewusst getäuscht hat. Diese Täuschung muss zu einer irrtümlichen Zahlung (Vermögensverfügung) auf die objektiv falsche Abrechnung geführt haben. Zudem muss der Arzt in dem Bewusstsein gehandelt haben, dass er auf die Vergütung der tatsächlich nicht erbrachten Leistung keinen Anspruch hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass ein bewusstes und somit vorsätzliches Handeln nicht notwendig sichere Kenntnis bedeutet. Ein Vorsatz ist bereits dann zu bejahen, wenn der Arzt die jeweiligen Ereignisse (z.B. Täuschung oder Irrtumserregung) nur für gut möglich hält, bzw. deren Eintritt billigend in Kauf nimmt.

Dies gilt jedoch nicht für die ebenfalls notwendige Bereicherungsabsicht. Diese liegt nur vor, wenn der Arzt unmittelbar das Erzielen einen Vermögensvorteils gewollt hat, d.h. der Arzt muss sich darüber bewusst gewesen sein, dass er eine objektiv falsche Abrechnung einreicht und somit eine ihm tatsächlich nicht zustehende Leistung erhält.

Nur wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt diese subjektiven Elemente des Tatbestandes zu beweisen, kann eine Verurteilung wegen Abrechungsbetruges erfolgen. Gelingt dieser Beweis jedoch nicht, weil der Arzt guten Gewissens davon ausging, dass er die abgerechnete Leistung tatsächlich so erbracht hat und somit auch entsprechend abrechnen durfte, fehlt es an einem Vorsatz bzw. einer Bereicherungsabsicht und somit an einer strafbaren Handlung.

Die Beweisbarkeit der subjektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz und Bereicherungsabsicht bereitet der Staatsanwaltschaft die größten Schwierigkeiten. Als Beweismittel stehen lediglich ein Geständnis des Arztes, Aussagen dritter Personen oder Äußerungen des Arztes sowie Unterlagen zur Verfügung. Sollte der Arzt seine Rechnungen durch eine Arzthelfer(in) oder Mitarbeiter erstellen lassen und hat er dieser konkrete Anweisungen zu falschen Leistungserfassung erteilt, so könnte ein Vorsatz des Arztes möglicherweise auch durch eine Zeugenaussage der Mitarbeiter bewiesen werden. In diesem Zusammenhang sollte beachtet werden, dass den Mitarbeitern in den meisten Fällen jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen wird, weil diese sich durch ihre Aussage möglicherweise selbst wegen Beihilfe zum Betrug belasten könnten.

Im Rahmen einer Verteidigung muss somit der Fokus auf die fehlende Beweisbarkeit des Vorsatzes und der Bereicherungsabsicht gelegt werden, mit dem Ziel der Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Abrechnungsbetruges vor Erhebung einer Anklage.

Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht es der Staatsanwaltschaft in den meisten Fällen schon aus, wenn eine objektive Falschabrechnung vorliegt. Nach dem Grund einer derartigen Falschabrechnung wird der Arzt in diesem Stand des Verfahrens nicht einmal gefragt, selbst wenn die Falschabrechnung auf einem Versehen beruht oder aus Unkenntnis erfolgt ist. Dabei scheidet eine Bestrafung wegen Abrechnungsbetrug aus, wenn der Nachweis des Vorsatzes nicht gelingt.

Grundsätzlich stellt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bereits eine massive Belastung für den betroffnen Arzt dar. Neben persönlichen Belastungen wie Stress, Ungewissheit und Angst kann sich ein Ermittlungsverfahren erheblich auf die berufliche Existenz auswirken.

Dies beruht schon darauf, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in den meisten Fällen eine gewisse Öffentlichkeitswirkung mit sich bringen. Durch Gerichtsbeschluss können zur Beweissicherung z.B. die Patientenkartei auch während der Sprechstunde beschlagnahmt werden oder Patienten als Zeugen vernommen werden. Solche Ermittlungsmaßnahmen im Vertrauensbereich Arztpraxis sind mehr als rufschädigend.

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sollte der Betroffene Arzt deshalb nie ignorieren, sondern sich vielmehr umgehend mit einem Anwalt seines Vertrauens in Verbindung setzen. Nur ein Anwalt hat die Möglichkeit Akteneinsicht zu beantragen und hat somit die Möglichkeit anhand der Ermittlungsakte eine der Verteidigung entsprechende Einlassung mit dem Ziel der Einstellung des Verfahrens mangels vorsätzlichen Handelns zu formulieren.

Sascha Kugler
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