Beschneidet euch doch selbst

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Neulich, beim Dalai Lama: "Du bist beschnitten, du kommst hier nicht rein."

Der Rechthaber

Das Urteil des Landgerichts Köln zur religiösen Beschneidung von Jungen wirft viele Fragen auf - und führt zu den unterschiedlichsten Reaktionen. Man mag es gut finden, oder schlecht. Es mag im Ergebnis juristisch richtig sein, oder falsch. Alles möglich. Darüber maße ich mir, ausnahmsweise mal ;-), kein Urteil an.

Ich habe grundsätzlich auch kein Problem damit, heilige Kühe zu schlachten oder Traditionen zu ändern oder ganz abzuschaffen, wenn diese ihren ursprünglichen Sinn verloren haben.

Was mich aber bei der Begründung des Landgerichts Köln besonders stutzen lässt, ist folgender Satz: Die körperliche Veränderung laufe den Interessen des Kindes zuwider, "später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können".

Ich will es mal vorsichtig formulieren: Das verstehe ich nicht.

Die Beschneidung ist körperlich nicht umkehrbar. Soweit richtig. Trotzdem kann der Betroffene über seine Religionszugehörigkeit jederzeit auch später noch selbst bestimmen. Ob er nun aus religiösen oder medizinischen Gründen beschnitten ist, oder auch gar nicht. Ich kenne keine Religion, die entsprechende Ausschlusskriterien hat.

"Du bist beschnitten, du kommst hier nicht rein".

Wenn ein Jude zum Buddhismus konvertieren will, dann wird ein Rinpoche ihn gewiss nicht abweisen mit der Begründung, dass in der Buddhanatur - die bekanntlich in allem ist - keine Beschneidung inbegriffen ist. Katholiken tun sich schwer damit, in ihrem auserlesenen Zirkel Scheidungen zu akzeptieren - aber Beschneidungen? Das wäre mir neu.

Aber vielleicht will er ja auch Atheist werden. Ich glaube, alle Atheisten rufen begeistert "willkommen". Ist ein beschnittener Mann auf ewig Jude oder Moslem? Wird ein beschnittener Mann automatisch von allen in eine bestimmte Schublade gesteckt? Nun, vom Landgericht Köln anscheinend schon.

Die Grundrechtsabwägung endet in Köln an der Domplatte.

Mir wäre wohler gewesen, es hätte eine anständige, schulmäßige Abwägung der betroffenen Grundrechte gegeben, ohne weltfremdes Schubladendenken. Von einem Gericht, dessen Urteile in der Regel ziemlich gut begründet sind und das hier thematisch durchaus reingepasst hätte: das Bundesverfassungsgericht.

Und wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gut der körperlichen Unversehrtheit hier den Vortritt gibt, dann akzeptiere ich das. Die Begründung des Kölner Landgerichts akzeptiere ich so nicht.

Leserkommentare
von UlFie am 01.08.2012 18:42:12# 1
Ich finde die Argumentation des Gerichtes keineswegs fragwürdig. Nur, weil der Autor keine Religionsgemeinschaft kennt, die körperliche Unversehrtheit voraussetzt, heißt das nicht, daß es sie nicht gibt. Religionen können beliebig absurd sein (siehe ``Spaghettimonster'''') und müssen nicht zwingend so weit verbreitet sein, daß mehr als eine Hand voll Leute sie kennt. Außerdem: Kann man vom Islam zum Judentum (oder allgemeiner von einer verstümmelnden zu einer anderen verstümmelnden Religion) übertreten, ohne daß die schon erfolgte Verstümmelung problematisch wird? Sieht nicht speziell das Judentum einen besonderen Umgang mit dem Amputat vor, der durch eine frühere Verstümmelung naheliegenderweise nicht mehr möglich sein kann? Insofern ist es wohl viel zu kurz gedacht, wenn man nur nicht-verstümmelnde Religionen betrachtet. Das Gericht hat also insgesamt eine sehr kluge Entscheidung getroffen, indem es einer grundsätzlich gefährlichen Abwägung von Rechten aus dem Weg gegangen ist und rein von einem Grundrecht ausgehend argumentiert hat (mal von den zahlreichen anderen Argumenten ganz abgesehen, die eine Bestrafung solcher Verstümmelungen rechtfertigen und sogar erfordern würden).
    
von 123recht.de am 20.09.2012 13:54:55# 2
Hallo UlFie, danke für den Kommentar. Sorry, habe den erst jetzt gesehen... Insgesamt ist die Argumentation und die Grundrechtsabwägung des Gerichts zugegebenermaßen ziemlich schulmäßig und juristisch in Ordnung. Ich bleibe aber dabei, dass dieser eine Satz in der Begründung die ganze sonstige Abwägung zunichte macht. Ca. jeder 3. auf der Welt ist beschnitten - und können jederzeit immer noch über ihre Religion entscheiden. Grüße
    
von Bienchen 2012 am 27.09.2012 18:35:44# 3
Das war doch sicher so gemeint, dass die Bschneidung aus rel. Gründen vom Säugling nicht bejaht werden kann, vielleicht würde er sich als Erwachsener dagegen entscheiden. Ich finde das Urteil gut, weil es sich hier halt um Körperverletzung handelt und die ist trotz des Rechts auf Religionsfreiheit nicht als Bagatelle zu sehen. Wir sind ein Christlich orientiertes Land und Menschen, die hierhin ziehen mögen doch bitte unser Recht und Gesetz akzeptieren. Wir müssen es in ihren Ländern auch. Die Menschen haben die Freiheit, hier zu leben oder auch nicht.