Die Richterrobe fällt heute extrem locker

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Die "Brigitte" bekommt im Losverfahren einen Platz beim NSU-Prozess in München. Herzlichen Glückwunsch!

Das Bundesverfassungsgericht hat dem OLG München drei Stühle aufgebrummt. Nur drei! Stellt einfach drei Stühle in den vorhandenen Pressebereich, vergebt diese Plätze an ausländische Medien, und alles wird gut. So schwer ist das eigentlich nicht. Und selbst, wenn im ganzen Gebäude keine Stühle mehr zu finden gewesen wären: Die ausländischen Medien hätten sich ihre Klappstühle garantiert selbst mitgebracht und sich arrangiert, da bin ich mir sicher. Plus eigene Verköstigung auf der Gerichtswiese. Das OLG aber hat gebockt wie ein kleines Kind. Nein, keine drei Stühle. Pffft. Wir machen es jetzt ganz anders. Ätsch bätsch, lange Nase. Wir verlosen jetzt alle Plätze. Und außerdem vertagen wir den Prozessbeginn. So!

Gesagt getan. Die Verlosung für Presse-Plätze beim Gerichtsprozess gegen die NSU hat jetzt stattgefunden. Und diese Verlosung hat dazu geführt, dass die Brigitte live im Gericht dabei ist, die Zeit, die Süddeutsche und die FAZ z.B. aber nicht.

Die Brigitte! Ausführliche Berichte aus der Gerichtskantine und ein modischer Abriss, was man heute so vor Gericht trägt, das ist doch genau das, was uns bei juristischer Berichterstattung immer gefehlt hat. Endlich kommt da mal etwas Leben in die staubtrockene Materie der Juristerei. Welches Verteidigeroutfit gefällt ihnen besser? Die Zschäpe-Gefängnis-Diät. Ihre Lieblingsmahlzeit vor der Aussageverweigerung? Was für Übungen macht wohl der Staatsanwalt? Die Angeklagten heute hautnah: Lust auf Veränderung!

Jetzt ist es ja nicht so, dass andere Medien, die nicht gewonnen haben, nun nicht dabei sind. Man kann davon ausgehen, dass die großen Verlage sämtliche ihrer Pferde ins Rennen geschickt haben, damit wenigstens irgendeins ihrer Käseblätter das Glückslos bekommt. Der Gewinner muss dann die anderen Verlagsmedien mit Infos füttern.

So auch bei der HAZ, Madsack Verlag, für die die Lübecker Nachrichten im Losverfahren zugeschlagen haben. Dabei wird der Vertreter des Madsack-Verlags eh öfter im Biergarten als im Gerichtssaal anzutreffen sein, denn Madsack besteht traditionell nur aus dpa-Meldungen. Eigene Berichterstattung können die gar nicht. Eine halbe Seite Fußball vielleicht, ok, das war es dann schon.

Das Problem haben ja 90 Prozent aller Zeitungen. Da kann man nur von Glück sagen, dass die dpa selbst einen eigenen Platz im Gerichtssaal ergattert hat. Man wüsste ja sonst gar nicht, wo man abschreiben sollte. Psst, was hat der Verteidiger gesagt? Keine Ahnung, ich lese den Bild.de Ticker! Wo gehen denn diese neumodischen Tablets an?

Das OLG hat die Verkündung der glücklichen Losgewinner natürlich nicht ohne Angriff auf die Medien über die Bühne gebracht. Wir konnten uns nicht hinreichend um die juristische Vorbereitung kümmern, wir mussten so viel Organisatorisches machen. Das ist echt voll gemein von euch!

"Die Angriffe, die das Gericht aushalten musste, obwohl es sich vollkommen korrekt verhalten hat, sind einmalig", nölte der OLG-Präsident. Naja, Herr Präsident, so korrekt ja nun auch nicht. Aber die Richter des Bundesverfassungsgerichts zählen wohl nicht. Und ob die komplette Vertagung und Neuverlosung so eine korrekte Idee war, insbesondere hinsichtlich der Opferangehörigen - ich weiß nicht, Herr Präsident.

Drei Stühle, liebes Gericht. Nur drei!

Die ganze Farce rund um den NSU-Prozess zeigt, dass deutsche Gerichte und ihr Selbstverständnis aus dem letzten Jahrhundert stammen und noch nicht in der heutigen Zeit angekommen sind. Das Gericht will am liebsten nur Recht sprechen und danach eine Pressemitteilung verschicken. Das war ja schon immer so. Warum sollten wir uns jetzt noch um die Medienlandschaft kümmern? Oder gar um die Opferangehörigen? Und was will dieses blöde Verfassungsgericht überhaupt mit seinen lachhaften drei Stühlen? Wir sind eine korrekte Veranstaltung hier, Richter, unabhängig, haltet euch da raus!

Ob die Richter wenigstens korrekt gekleidet sind, wird uns die Brigitte nun berichten. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.

Leserkommentare
von guest-12304.04.2021 19:45:41 am 08.05.2013 22:04:20# 1
Man stelle sich vor: Kommen drei Journalisten, Herkunft egal, mit ihren Klappstühlen auf die Zuschauertribüne und wollen die Stühle aufstellen. Aber wo? Auf die Treppe? In einem Gang? Geht alles nicht. Beschluss des Verfassungsgerichts hin oder her, Fluchtwege müssen frei bleiben. Und bei der Unnachgiebigkeit der Journalisten bleibt dem Sicherheitsbeauftragten nichts anderes übrig, als den Saal aus Sicherheitsgründen zu sperren.
Daher musste das OLG die Plätze neu vergeben!
    
von Faustusxy am 09.05.2013 00:59:27# 2
Herrliche Glosse, die nicht immer den ernsten Kern sachgerecht trifft - egal.
@NJWieser Wenn man sich mal anschaut, wie schnell im Bundestag die Sitze sicherheitsgerecht und schnell verschoben werden können, sollte es doch bei drei Sitzen im Gerichtssaal keine Problem sein. Es bleibt: Das OLG hätte sich und allen Medien viel Ärger erspart, wäre es einfach der Anweisung des BVerfGer mit den drei Sitzen gefolgt...zwei Türken und ein Grieche rein und alle wären zufrieden gewesen.