Für eine Renaissance von Erinnerung und Vergleich

Mehr zum Thema: Meinung, Rechtsvergleichung, Vergleich, Erinnerung, Erkenntnis, Prognose
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Vergleichen ist eine Form angewandten Wissens, freien Denkens und für eine lebendige Erinnerungskultur unabdingbar

Nach Novalis (1772-1801) lässt sich alles Erkennen auf das Vergleichen zurückführen. Die Erkenntnis ist umso wahrhaftiger, je mehr Klarheit über die jeweils verglichenen Gegenstände herrscht.

Für einen Vergleich benötigt man ein Tertium comparationis. Dieser Vergleichspunkt stellt bei einem Rechtsvergleich eine einzelne Rechtsfrage beziehungsweise einen einzelnen sozialen Konflikt dar, der an das jeweilige Recht herangetragen wird (Mikrovergleich). Er kann aber auch die allgemeinen Prinzipien der Rechtsfindung und Rechtsfortbildung betreffen oder den Rechtszustand verschiedener historischer Entwicklungsstufen der jeweiligen Gesellschaft (Makrovergleich).

Beliebte Gegenargumente wie "der Vergleich hinkt" oder "man kann Äpfeln nicht mit Birnen vergleichen" sind lediglich leere Phrasen mit dem Ziel, freies Denken und die lebendige Erinnerung einzuschränken. Wie soll man sich solches Hinken eigentlich vorstellen, was genau wird methodisch bemängelt, wenn überhaupt? Selbstverständlich kann man Obstsorten miteinander vergleichen, etwa im Hinblick auf den jeweiligen Gehalt an Vitamin C (Mikrovergleich) oder im Hinblick auf ihre Beliebtheit in den Bevölkerungen (Makrovergleich). Somit sind solche Gegenargumente meist Scheinargumente von Blendern.

Andreas Neumann
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Der Vergleich ist vor allem auch eine wichtige Form des Erinnerns.

Zu meiner Uni-Zeit war es durchaus noch schick, Gegenstände oder Phänomene miteinander zu vergleichen; es gab Vorlesungen zur Rechtsvergleichung, zur Komparatistik in den Literaturwissenschaften und auch zum Religionsvergleich. Volkswirtschaften werden in den Wirtschaftswissenschaften miteinander verglichen. Forschungsprojekte mit Themenstellungen zur Erinnerungskultur boomten.

Später wurde der Vergleich mehr und mehr verpönt. Wer interdisziplinär arbeitete (und somit quer dachte), zog sich mehr und mehr den Verdacht fehlender Kompetenz und fachlicher Anerkennung in der jeweils eigenen Disziplin zu. Die rechtsvergleichenden Vorlesungen wurden weniger besucht, wenn sie überhaupt noch angeboten wurden, mit rechtsvergleichendem Wissen konnte man schon gar nicht im Examen punkten.

Der zunehmende Verzicht auf den Vergleich macht die Menschen allerdings dümmer. Wenn man etwa die Bibel oder die Tora nicht mehr mit dem Koran vergleichen darf, versteht man weder das eine noch das andere wirklich. Man verzichtet auf Kontext, auf Untersuchung von Rezeptionsvorgängen, auf den Versuch einer Verortung und letztlich auch auf ein zutreffendes Verständnis. Ähnliches gilt für den Vergleich von Rechtsordnungen oder von Phänomenen in der Geschichte.

Tabubereiche führen zur Einschränkung der Erinnerungskultur, zu ihrer Reduzierung auf bloße leere Rituale.

Mir scheint, dass diese Verdummung gewollt ist. Wir sollten daher wieder mehr vergleichen. Vergleichen wir methodisch sauber, vorsichtig und bewusst, können wir sowohl Parallelen als auch die jeweiligen Besonderheiten erkennen - und möglicherweise sogar bessere Prognosen treffen.

Rechtsanwalt Dr. Andreas Neumann
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