Juristen haben keine Ahnung von Sex

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Die Kölner Staatsanwaltschaft erklärt, dass der erste (!) Täter von den 883 Sex-Attacken in der Kölner Silvester-Nacht mittlerweile gefasst sei und in U-Haft sitze – wegen „sexueller Nötigung" (§ 177 StGB). Dieser Tatvorwurf wird sich nach der derzeitigen Gesetzeslage vor Gericht nicht halten lassen können – zu Recht!

In einem am vergangenen Sonntag ausgestrahlten Interview mit Spiegel-TV erklärte der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer, dass ein 26 Jahre alter Algerier aus einer Gruppe heraus seinem Opfer, einer ca. 56 Jahre alten Frau, an die Taille und an den Po gegriffen und die hieraus resultierende Panik der Frau dazu nutzte, um ihr Handy zu entwenden.

Dass sich der Algerier damit strafbar gemacht hat, steht außer Frage. Bestätigt sich aber der Tatvorwurf, dass dieser den Griff an Taille und Po dazu nutzte, um das Handy seines Opfers zu entwenden, handelt es sich formalrechtlich keineswegs um eine Sexualstraftat und schon gar nicht um eine sexuelle Nötigung. Nach der Tatschilderung des Staatsanwalts hat sich der mutmaßliche Täter vielmehr - ziemlich eindeutig - lediglich des Diebstahls strafbar gemacht. Und zumindest diejenigen, die sich von Berufs wegen tagtäglich mit dem Strafrecht beschäftigen – sprich Polizisten, Staatsanwälte, Strafrichter und Strafverteidiger – sollten das eigentlich auch wissen!

Die „sexuelle Nötigung" (§ 177 StGB) stellt die besonders brutale Erzwingung von Sexualkontakten durch den Täter unter Strafe: Bestraft wird, wer sein Opfer mit Gewalt, oder durch Drohung mit Körperverletzung oder Tod, oder unter Ausnutzung einer (vergleichbar schwerwiegenden) schutzlosen Lage, dazu bestimmt (=nötigt), gegen seinen Willen sexuelle Handlungen des Täters (oder eines Dritten) an sich zu dulden oder an dem Täter vorzunehmen. Das Strafmaß der sexuellen Nötigung ist extrem hoch angesetzt: mindestens ein Jahr und bis zu fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe drohen. Dies wohlgemerkt bereits für eine „einfache" sexuelle Nötigung; liegt ein besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung vor, handelt es sich also um eine mit einem Eindringen in den Körper verbundene „Vergewaltigung" (§ 177 Abs. 2 StGB) des Opfers, beträgt die Mindeststrafe dann 2 Jahre. Freiheitsstrafen über 2 Jahre können kraft Gesetz nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Ich darf an dieser Stelle bereits bezweifeln, dass die Presse in der bisherigen Berichterstattung über „Vergewaltigungsanzeigen" diese Trennlinie richtig gezogen hat.

Da also die Strafe für eine „sexuelle Nötigung" doch unabhängig vom konkreten Einzelfall stets sehr empfindlich ist, müssen für die sexuelle Nötigung gewisse zusätzliche Voraussetzungen vorliegen. So muss die sexuelle Handlung „von einiger Erheblichkeit" sein. Denn bei einem so hohen Mindeststrafmaß können bloße Geschmacklosigkeiten und ungehörige Berührungen zumindest oberhalb der Bekleidung bei objektiver Betrachtung eben nicht zu einer solch eklatanten Strafe führen.

Losgelöst von der aufgeheizten und so emotionsbeladenen und moralisierend geführten Debatte um die „Sex-Mobs" in Köln würde das nämlich dazu führen, dass bereits bei einem aus einem plumpen Flirt rührenden distanzlosen unerwünschten Klaps auf den Po sofort eine Verurteilung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe folgt. In meiner Heimatstadt München wären nach dem Oktoberfest die Gefängnisse dann sehr, sehr voll.

Nur zum Vergleich: Ein unvermittelter Schlag ins Gesicht ist als Körperverletzung im Mindestmaß mit bloßer Geldstrafe bedroht, im Höchstmaß mit fünf Jahren, selbst wenn das Opfer einen schweren Kieferbruch erleidet und alle Zähne verliert. Deshalb verneint auch die bisherige Rechtsprechung eine Strafbarkeit wegen einer Sexualstraftat mit einer Strafbarkeit von mindestens einen und bis zu fünfzehn Jahren beim bloßen Grapschen oberhalb der Bekleidung: Es fehlt an der Verhältnismäßigkeit.

Es gibt in Bezug auf den Ausgangsfall mit dem grapschenden Algerier und dem Handy der Frau aber noch ein weiteres juristisches Problem. Geschützt werden soll durch das Sexualstrafrecht die Verletzung der freien sexuellen Selbstbestimmung einer Person. Kein Mensch soll sexuelle Körperkontakte gegen seinen Willen vornehmen oder erdulden müssen.

Die Betonung lautet: gegen seinen Willen. Wer aber von einem sexuellen Übergriff überrascht wird, dem fehlt bereits die Möglichkeit, sich einen Willen darüber zu bilden, ob er dies nun möchte oder nicht – sprich es fehlt schon an der „Nötigung", weil kein „willensbrechender Zwang" zu einer sexuellen Handlung, beziehungsweise zu deren Erduldung angewendet wird. Auch wenn man bereits trefflich darüber streiten kann ob der Griff an den Po und die Taille überhaupt schon „Gewalt", also eine körperliche Kraftentfaltung im juristischen Sinne, darstellt, ist vor allem entscheidend, dass sich das Opfer durch die körperliche Gewalt zu der sexuellen Handlung, beziehungsweise deren Erduldung, subjektiv gezwungen sieht, was bei einem solch kurzen Überraschungsmoment nicht der Fall ist. Ein ähnliches juristisches Problem stellt sich beim Straftatbestand des Raubes: Wer seinem Opfer völlig überraschend einen Gegenstand entreißt, nutzt nicht Gewalt, sondern Überraschung, und überwindet mithin keinen Widerstand und macht sich demnach auch nicht des Raubes strafbar.

Damit aber nicht genug, denn um sich eines Sexualdeliktes wie der sexuellen Nötigung strafbar zu machen, muss man vorsätzlich handeln – also eine sexuelle Handlung zum Zeitpunkt der Tat auch beabsichtigen. Wenn es dem „Sex-Mob-Täter" aber lediglich darauf ankommt, sich des Diebsgutes zu bemächtigen und er sein Gegrapsche als bloßes Ablenkungsmanöver nutzt - ohne dass er sich dadurch in irgendeiner Weise sexuell erregen will - stellt auch dies ein gewichtiges juristisches Problem dar. Denn beim Nachweis des Vorsatzes kommt es gerade nicht darauf an, was sich ein Außenstehender vielleicht denken mag, sondern ganz konkret darauf, was der Täter in dem Moment seiner Handlung gedacht und bezweckt hat. Der Jurist spricht hierbei von der „Zweck-Mittel-Vorstellung". Mag man dem „Sex-Mob-Täter" also durchweg unterstellen, dass das Gegrapsche ihm nicht unangenehm gewesen sei, beweisen wird man es ihm kaum können, wenn er behauptet, dass sein einziger Zweck des Grapschens die Ablenkung des Opfers war, um an dessen Habseligkeiten zu gelangen.

Das ist – grob zusammengefasst – die derzeitige Rechtslage. Warum leitende Staatsanwälte, Polizeisprecher und Politiker bei Fällen wie denen des inhaftierten Algeriers von Sexualdelikten wie sexueller Nötigung und Vergewaltigung sprechen, wo das deutsche Gesetz diesbezüglich so eindeutig ist, kann zwei Gründe haben:

Zum einen scheint man bei den 883 angezeigten Übergriffen von den eigenen Ermittlungsergebnissen hinter den öffentlichen Erwartungen stark zurückzubleiben, wenn man bisher nur einen einzigen Täter als dringend tatverdächtig in U-Haft nehmen konnte und versucht, besonders polemisch „Härte" zum Wohle der Massen zeigen zu wollen, oder aber die Damen und Herren Juristen und Polizisten wissen schlicht nicht, dass das „bloße" völlig überraschende Gegrapsche oberhalb der Bekleidung nach derzeitiger Rechtslage definitiv keine „sexuelle Nötigung" darstellt. Auch wenn dies nicht nur den Polizisten, sondern vor allem den sich damit befassenden Juristen längst bekannt sein sollte. Die Betonung liegt dabei auf „sollte", denn das Problem ist, weder im Studium, noch in der praktischen Ausbildung wird der Jurist jemals mit dem Sexualstrafrecht konfrontiert – und zum Prüfungsstoff der juristischen Examina gehören Sexualdelikte schon gar nicht.

Sex ist in den Augen der verantwortlichen Justizprüfungsämter „BÄH", die heiklen Juristen vermeiden dieses Unwort mit den drei Buchstaben wo es nur geht, selbst dann, wenn man als Anwalt, Richter oder Staatsanwalt plötzlich selbst in der Realität damit konfrontiert wird. Zahlreiche renommierte Strafverteidiger nehmen aus Rücksicht auf ihre anderen Mandanten erst gar keine Sexualstraftäter zur Verteidigung an, schließlich möchte man ja die lukrativen Steuersünder, gewerbsmäßigen Betrüger oder Doppelmörder nicht vergraulen wenn die Wind davon bekommen, dass ihr Anwalt solcherlei „Abschaum" vertritt. Und selbst bei den meisten Staatsanwaltschaften und Gerichten werden die Sexualdelikte als sog. „allgemeine Strafsachen" neben Körperverletzung, Betrug, Schwarzfahren und Diebstahl bearbeitet - genauere Sachkunde wird nicht vorausgesetzt. Und bei den Polizisten sieht es da kaum besser aus - im Gegenteil gilt dort das Motto: Der Staatsanwalt wird’s dann schon wissen....

Woher sollen also die armen Juristen – und erst recht die weitaus weniger juristisch geschulten Polizisten - wissen, wie man mit diesen neuen „Sex-Mob-Tätern" umgeht?

Ich behaupte, wir brauchen weder schärfere Gesetze noch eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung: Die Juristenausbildung sollte einfach mal mehr Sex auf den Lehrplan rufen.

Denn auch der 26-jährige Algerier kommt deswegen nicht automatisch straflos oder besonders billig davon, wenn es sich „nur" um einen Diebstahl handelt! Auch für den „einfachen" Diebstahl sieht das Gesetz im Höchstmaß einen Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Selbstverständlich kann und wird ein Gericht eine für das Opfer besonders herabwürdigende Begehungsweise eines Diebstahls im Strafmaß besonders berücksichtigen.

Leserkommentare
von Pudel04 am 12.02.2016 12:43:47# 1
Na, das war ja mal ein erfrischender und informativer Artikel und zudem auch noch ganz gegen den gängigen Mainstream!
Sie sprechen genau an, was derzeit keiner hören will. Zwischen den Zeilen sind jede Menge Informationen, die sich diejenigen zu Gemüte führen sollten, die nach einer ständigen Verschärfung des § 177 StGB rufen und doch über geltendes Recht nicht informiert sind.

Denn natürlich gehören die Täter bestraft. Konsequent. Und Roß und Reiter müssen benannt werden. Stattdessen drehten aber viele in Politik und Medien wieder den Spieß hin in Richtung aller Männer! (Die "Emma" schoß den Vogel wieder ab und schrieb von "Männergewalt")

Der deutsche Juristenbund (Link unten) hat schon am 12.05.2014 über eine Verschärfung doziert. Und zwar in großer Absonderlichkeit, denn das Strafrecht ist durchaus ausreichend formuliert. Demnach sollen nur noch ausdrücklich einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person straffrei bleiben. Was bisher sexuelle Nötigung war, soll zur Vergewaltigung aufgestuft werden.

Das bedeutet einen Wandel im praktizierten Strafrecht, wie er vor allem in den USA sich ebenfalls anbahnt. Es wird in Zukunft vor Gericht vor allem um dieses Einverständnis gehen. Nichts lässt sich leichter später in Abrede stellen. Den Gegenbeweis zu führen ist kaum möglich, die bereits praktizierte Beweislastumkehr wird noch einseitiger zuungunsten des Beschuldigten verschoben.

Also was bedeutet das für den Normalbürger (Mann und Vater), der sich beispielsweise in schlimmsten Trennungssituationen oder auch anderen "Vorfällen" einer Beschuldigung ausgesetzt sieht?

Man muss sich unverfroren und rotzfrech auf der absoluten Höhe seiner Macht fühlen, um nach immer mehr und immer abgedrehteren aufgeflogenen Falschbeschuldigungen mit anschliessender jahrelanger Freiheitsberaubung sich zu entblöden, die Türe zu noch mehr Missbrauch noch weiter aufzutreten. Klar, dass kein Wort vom Missbrauch in der djb-Stellungnahme auftaucht. Dessen gefordertes Rezept: Gar nicht mehr über die "Tat" reden, sondern gleich verurteilen.

... und schon gehts am 09.01.2016 weiter, indem man nun die Kölner Ereignisse für diesen Unfug ausschlachtet, statt geltende Gesetze durch zu setzen: Und niemand merkt: Das Sexualstrafrecht ist wie das Gewaltschutzgesetz oder das Familienrecht ein trefflicher Bereich, in dem absolut neutral fomulierte Gesetze trotzdem in extremer Weise geschlechtsspezifisch angewendet werden, somit ein herrliches Feld, um Gleichheit zu singen, aber mit der grösstmöglichen Sexismus-Keule um sich zu prügeln. Warum wohl sind gerade juristische Bereiche wie Sexualstrafrecht oder Geschwaltschutz einer ständigen Verschärfung unterworfen? Ganz anders bei Körperverletzung, bei der unweglügbar Männer die Hauptopfer sind. Dort herrscht eine ganz erstaunliche juristische Sanftmut und gar kein Reformeifer. Steuerhinterzieher ins Gefängnis, Schädeleinschlager in die Bewährung.

Nehmen wir das Einverständnis zum Geschlechtsverkehr: Beispielsweise eine Frau unter Drogen gibt das, aber sie geht von einer falschen Realität aus. Es ist damit ungültig und kann später wieder zurückgezogen werden. Sie tut das, zeigt ihn an, Verfahren und ggf. Verurteilung des Mannes, Operstatus der Frau, Nebenklägerin, zivilrechtlicher Schadenersatz und so weiter.

Der Mann - Boris Becker in der Besenkammer - hat Oralverkehr, Sperma wird ohne sein Einverständnis "auf andere Weise" weiterverwendet. Frau wird, wie geplant, ohne jede Zustimmung des Mannes schwanger. Er wird ausgelacht, muss hohe Unterhaltsbeträge bezahlen. Vergewaltigung? Gröhl, lach, schmierig, kicher....

So also nun aktuell in einem Statement von Claudia Roth (die Grünen). Eine der politischen Repräsentantinnen der Bundesrepublik, die nach einem abgebrochenen Theaterstudium und dem Management einer Rockband, in die Politik fand:

"Aber so zu tun, als wären die Vorfälle aus der Silvesternacht die ersten Ausbrüche sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft, ist falsch. Es gibt auch im Karneval oder auf dem Oktoberfest immer wieder sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Ein großer Teil der derzeitigen Empörung richtet sich aber nicht gegen sexualisierte Gewalt, sondern auf die Aussagen, dass die potenziellen Täter nordafrikanisch und arabisch aussehen."

Und so schafft man also leicht wieder den Dreh, hin zu allen Männern!

Und weiter heißt es: "Auch Fälle, in denen sich das Opfer subjektiv als schutzlos empfindet....würden den Straftatbestand erfüllen..."

Da kann nur jedem Mann zukünftig empfohlen werden: Ohne eindeutige schriftliche Aufforderung zum Sex wird ein Mann bald nicht mehr risikolos mit einer Frau schlafen koennen.

Die Vorfälle und Ursachen von Köln geraten im Grunde hier in den Hintergrund. Die Politiker, die jetzt laut aufschreien, sind diejenigen, die die verfehlte Politik zu vertreten haben, die zu solchen Vorfällen führte und sich jetzt als die Wächter des Rechtsstaates, der und der Schwachen hin stellen.




    
von Electra am 17.02.2016 18:11:40# 2
Hallo Herr Stevens,

was Sie und Herr "Pudel04" hier - ich möchte fast sagen - ablassen, konnte ich aus Zeitmangel nur überfliegen. Für mich ziehe ich aber folgendes Fazit: Wenn ein Mann mich begrapscht und ich gebe ihm eine Ohrfeige oder haue ihm auf die Finger, dann werde ich wegen Körperverletzung bestraft, der Mann aber geht straffrei aus (?).

    
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