Kinderehegesetz: Ein Lehrbeispiel für die Grenzen des Rechtsstaats

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Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen: Bundesverfassungsgericht entscheidet zur Befangenheit eines Richters

Sehenden Auges verabschiedete der Bundestag 2017 im Rahmen einer aufgebauschten hitzigen Debatte ein Gesetz gegen Kinderehen, das schon damals von Fachverbänden und Rechtsexperten für verfassungswidrig gehalten wurde. Diese Bedenken teilte auch der Bundesgerichtshof und legte das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor. Dort soll nun einer der ehemaligen Initiatoren des Gesetzes, mittlerweile Vizepräsident beim Bundesverfassungsgericht, über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes entscheiden. Ist das noch rechtsstaatlich?

Befangenheit eines Verfassungsrichters

Stephan Harbarth ist seit November 2018 Vizepräsident am Bundesverfassungsgericht. Wenn der derzeitige Präsident Andreas Voßkuhle im Mai 2020 sein Amt niederlegt, soll Habarth nachrücken – trotz erheblicher Kritik. Denn der ehemalige CDU-Vize im Bundestag hat viele Gesetze dort mitgetragen.

Bernd Fleischer
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Auch wenn eine Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren für eine Befangenheit grundsätzlich nicht ausreicht, war Habarth doch an vielen Stellen Wortführer und Initiator. Steht ein solcher Präsident nicht der Unabhängigkeit und dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts als oberstes und neutrales Kontrollgremium entgegen? Gerade in Zeiten, in denen die Akzeptanz unserer Gerichtsentscheidungen in der Bevölkerung abnimmt?

Rechtsexperten waren bei Anhörung im Bundestag von Verfassungswidrigkeit ausgegangen

Hintergrund der derzeitigen regen Debatte um die Mitwirkung des Vizepräsidenten ist die bevorstehende Entscheidung des Verfassungsgerichts über das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen. Habarth war Mitinitiator und Redeführer des Gesetzes, das trotz erheblichen Mängeln aus rechtspolitischen Gründen verabschiedet wurde.

Unstreitig ist, dass Kinderehen in Deutschland bekämpft werden sollen. 20 Fachverbände hatten aber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vorgetragen, die Regelung benachteilige in der Praxis ausgerechnet die Minderjährigen und widerspreche dem Kindeswohl. Rechtsexperten waren bei einer Anhörung im Bundestag von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen. Dennoch wurde das Gesetz verabschiedet.

Neue Regelung im Familienrecht

Das Gesetz sieht Folgendes vor: Es hat für Inländer die Möglichkeit abgeschafft, in Ausnahmefällen auch schon mit 16 Jahren zu heiraten. Für Menschen fremder Staatsbürgerschaft sieht das Familienrecht nun Folgendes vor: Zwar richtet sich grundsätzlich die Gültigkeit der Ehe nach dem Recht des Heimatstaates. Nichtsdestotrotz kann eine ausländische Ehe trotzdem in den Fällen des Art. 13 EGBGB aufhebbar oder unwirksam sein.

Nach der neuen Regelung ist eine ausländische Ehe aufhebbar, wenn ein Beteiligter zum Zeitpunkt der Eheschließung 16 oder 17 Jahre alt war. Die Aufhebung ist ausgeschlossen, wenn der Minderjährige mittlerweile volljährig ist und die Ehe bestätigt oder wenn dies eine unzumutbare Härte für den Minderjährigen darstellen würde.

War ein Partner bei der Eheschließung hingegen unter 16 Jahren, wird die Ehe nach dem Gesetz automatisch unwirksam. Nur ganz ausnahmsweise wird gemäß Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB von der Unwirksamkeit abgesehen, wenn die Beteiligten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes oder der Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland volljährig waren.

Kindeswohl nicht berücksichtigt

Diverse praktische Bedenken stehen der Regelung entgegen: Eine Regelung zum Unterhalt etwa gibt es nicht. Bei gemeinsamen Kindern kann es zum Verlust der Vaterschaft kommen und dadurch zur Benachteiligung des Kindes eines Minderjährigen. Dadurch läuft das Gesetz aber gerade dem grundrechtlichen Gebot zum Schutz des Kindeswohles entgegen. Der Automatismus des Gesetzes lässt solche Umstände des Einzelfalles außer Betracht.

Dadurch wird weiter das Grundrecht auf Schutz der Ehe und Familie aus dem Grundgesetz sowie aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie das Grundrecht auf Gleichbehandlung berührt. Auch die UN-Kinderrechtskonvention verlangt eine Abwägung anhand der individuellen Einsichtsfähigkeit und Reife des Kindes unter Berücksichtigung des Kindeswohls im Einzelfall.

Mehr Rechtsstaat wagen!

Dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in seiner kommenden Entscheidung als verfassungswidrig einstufen wird, dürfte zu erwarten sein. Selbst Habarth hat damals für eine Einzelfalllösung plädiert und nicht für einen strengen Automatismus. Was bleibt also von der ganzen Debatte? Ein kalter Schauer im Nacken, wenn man betrachtet, wie die AfD die politischen Parteien des Landes mit ihrer Ideologie vor sich hertreibt. Wie kann es sein, dass im Bundestag Gesetze verabschiedet werden, die allen Experten zufolge so offensichtlich verfassungswidrig sind? Und ein Wunsch nach mehr Objektivität unserer Verfassungshüter, gerade in Zeiten politisch motivierter Verfassungswidrigkeit. Müssen denn die wichtigsten Richter des Landes wirklich aus dem Herzen einer Partei unmittelbar vom Bundestag in unser heiligstes Gericht wechseln?

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