Rücktritt wird überbewertet

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"Wenn man das Spiel um Throne spielt, gewinnt man, oder man stirbt. Dazwischen gibt es nichts." (George R. R. Martin)

Der Rechthaber

Jeden morgen schaue ich als allererstes in den Zeitungen nach der Nachricht des Tages: "X ist zurückgetreten. Und Y auch. Und Z vorher!". Irgendwie finde ich sie nie, diese Nachricht. Es handelt sich dabei wohl eher um eine Art Fantasie aus einem Paralleluniversum. Der Traum in einem Traum. Eine Realität, die nicht hier stattfindet, sondern irgendwo anders. Oder auf Fox News - wenn man es dort sieht, ist es einfach nicht wahr.

Die Platzhalter X, Y und Z kann man nach Lust und Laune ersetzen durch Merkel, Rösler oder irgendeinen anderen Politiker am Hebel der Macht. Bald wahrscheinlich auch durch Gauck. Warum sollten unsere Politiker auf einmal rechtschaffen werden, ihr Ego dem Allgemeinwohl unterordnen? Ich sehe überall nur Berlusconis in unterschiedlichen Schattierungen.

Kaum ist Wulff weg, geht es munter weiter im Spiel um Macht und den Thron - aktuell in Form von Aufplustern, Geschacher und Imponiergehabe um den neuen Präsidenten. Wieder nur parteiinterne Taktiküberlegungen, Drohungen, Machtspiele. Wenn du mit mir im Sandkasten spielen willst, musst du Dich aber vor meinem Förmchen verbeugen. Dieses Klettergerüst gehört mir, spiel nach meinen Regeln oder spiel woanders.

Und wie stolz sind sie jetzt, die Kinder, die ihr Gauck-Förmchen durchgesetzt haben. Helfen wird Ihnen das übrigens nicht, denn bei der nächsten Wahl werden die Förmchen an der Regierung einmal kopfüber gestülpt und durchgetauscht. Versprochen. Neuer Sand, kein neues Glück. Neue, alte, winkende und lächelende Schlipsträger, die das Spiel um den Thron weiterführen, so wie sie es von den anderen gelernt und abgekuckt haben. Wir sind gefangen in einer sich wiederholenden Endlosschleife. Täglich grüßt das Murmeltier. Es ist so grotesk, dass man schon wieder lachen muss.

Insoweit ist der Wunsch nach Rücktritt von X, oder Y, oder Z auch unsäglich albern. Rücktritte werden komplett überbewertet, da können noch so viele den Schwanz einziehen und sich entschuldigen. Die Köpfe der Hydra wachsen zahlreicher nach als Fernsehköche und Casting-Shows zunehmen.

Wir sind ganz groß im Moralaposteln, zeigen gerne mit dem Finger auf die anderen. Die da oben. Die da hinten, die da links, die da rechts. Und die in der Mitte nicht vergessen. Immer schön die Verantwortung abgeben.

Rücktritte reißen uns nicht raus aus der Endloschleife, aus diesem durchgelutschten Film über Macht, Intrigen und Falschheit. Wenn immer die anderen Schuld sind und zurücktreten sollen, müssen wir uns ja nicht mit uns selbst beschäftigen. Das einzige, was uns helfen würde, ist die Übernahme eigener Verantwortung. Jeder einzelne für sich, für seine Situation, für sein Handeln.

Hat die Bild sich schon mal kritisch mit ihrer eigenen Berichterstattung auseinandergesetzt? Setzen Sie sich kritisch mit Ihrem eigenen Verhalten auseinander? Mit Ihrer ganz eigenen Vorbildfunktion Ihren Kindern gegenüber? Oder nehmen Sie beim nächsten Elternabend die Lehrer in die Pflicht? Oder die Mitschüler? Ist vielleicht das Fernsehen Schuld? Die Gesellschaft als solche? Der Nachbar? Das Gesicht von Y?

Dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn jede neue Generation es wieder spielt - das uralte Spiel um Throne.