Was heißt hier eigentlich ermitteln?

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Verwaltungsgericht Düsseldorf stellt Disziplinarverfahren ein

Der Vorwurf gegen den Beamten war schnell in der Welt. Kollegen hatten den Verdacht geäußert, er könnte sich strafbar gemacht haben. Das sorgt in jeder Behörde für Aufsehen, erst recht bei der Polizei. So auch in einer Polizeibehörde in Nordrhein-Westfalen.

Umgehend wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten eingeleitet. Es wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, es wurden Unterlagen gesichtet, es wurden Zeugen befragt. Das Ergebnis: nichts. Jedenfalls nichts Handfestes. Die zuständige Staatsanwaltschaft erwägt bereits nach kurzer Zeit, das Verfahren einzustellen. Dann noch ein letzter Versuch: Steuerhinterziehung. Ein Teil des Verfahrens wird abgetrennt und an das zuständige Finanzamt für Steuerstrafsachen abgegeben. Die Reaktion dort war bei einem ersten Anruf deutlich wie selten zuvor: "Wir wissen nicht, was wir hier tun sollen. Wir stellen das Verfahren ein."

Ein schöner Tag im Leben des Polizisten. Zwei Ermittlungsverfahren kosten schon genügend Zeit und Nerven. Gut, dass die Verfahren eingestellt sind.

Beamter als Verbrecher? Das klären Straf- und Disziplinarverfahren...

Das sah die Leitung der Dienststelle anders. Ein vorsorglich eingeleitetes und bis dahin ruhendes Disziplinarverfahren wurde nach einigen Monaten des Wartens reaktiviert und fortgesetzt.

Und das Spiel begann von vorn. Denn auch im Disziplinarverfahren muss ermittelt werden. Interessanterweise nun wieder von der gleichen Polizeibehörde, die auch zuvor die Ermittlungen für die Staatsanwaltschaft durchgeführt hatte. Aber was heißt denn eigentlich ermitteln? Macht das der Polizeipräsident selbst? Oder bestellt er einen Ermittlungsführer? Wartet er ab bis Beweise aus dem Nichts auftauchen? Will er willkürlich Zeugen befragen? Oder geht es darum, aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft doch noch etwas herauszufiltern? Ist die Polizei vielleicht doch die bessere Staatsanwaltschaft?

Das Disziplinarverfahren gab viele derartige Rätsel auf. Und da ist es gut zu wissen, dass der Gesetzgeber zwar Disziplinarverfahren wünscht und auch möchte, dass gegen Beamte ermittelt wird, die sich Dienstpflichtverletzungen haben zu schulden kommen lassen. Aber er hat das Verfahren ganz bewusst "kontradiktorisch" ausgestaltet, Behörde gegen Beamten, mit einigen Rechten, die allein dazu dienen, die Waffengleichheit wieder herzustellen.

... wenn im Disziplinarverfahren auch tatsächlich ermittelt wird.

So wurde schließlich beim Verwaltungsgericht Düsseldorf beantragt, dem lange laufenden Verfahren ein Ende zu bereiten. Dies geschieht in zwei Stufen: Im ersten Schritt setzt das Gericht der Behörde eine Frist, das Disziplinarverfahren abzuschließen. Im zweiten Schritt prüft das Gericht, ob das Verfahren dann auch tatsächlich abgeschlossen wurde.

Die Frist als List...

Die Überraschung war groß: Das Verwaltungsgericht setzte zunächst eine Frist von drei Monaten und führte aus:

"Das Gericht geht nach alle dem davon aus, dass die Sachaufklärung im vorliegenden Fall nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden ist.

Da der Antragsgegner weder konkrete Angaben zu den aktuellen Ermittlungsumständen noch dazu macht, in welchem zeitlichen Rahmen er gedenkt, das gegen den Antragsteller geführte Disziplinarverfahren zu einem Abschluss zu bringen, ist dem Antragsgegner eine Frist zu setzen, innerhalb der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist.

Das Gericht hält hier eine Frist von drei Monaten für ausreichend. Dabei wird einerseits dem Interesse des Antragstellers an einem zügigen Abschluss des Verfahrens Rechnung getragen, andererseits verbleibt dem Antragsgegner ein ausreichender zeitlicher Spielraum, in dem er Ermittlungen fortsetzen bzw. zum Abschluss bringen kann."

(Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss v. 02.03.2015, Az. 35 K 8625/14.O)

... und ein Ende mit Schrecken.

Und noch größer war die Verwunderung, als sich nach drei Monaten herausstellte, dass die Behörde das Verfahren zwar "irgendwie" weiter betrieben hatte. Aber sie hatte sich an die gesetzte Frist nicht gehalten, den Ermittlungsbericht bereits zu spät vorgelegt, den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt und - das war im Ergebnis dann aber irrelevant - noch immer keine Beweise für das Fehlverhalten des Beamten gefunden.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf beschloss daher:

"Gemäß § 62 Abs. 3 LDG NRW ist das behördliche Disziplinarverfahren durch Beschluss des Gerichts einzustellen, wenn es – wie hier – nicht innerhalb der nach Abs. 2 bestimmten Frist abgeschlossen wird. Die Vorschrift räumt dem Gericht kein Ermessen ein. Das Gericht hat daher nur die Einstellungsvoraussetzung, d.h. den Fristablauf, zu prüfen. [...] Von einer Behörde kann die Kenntnis der einschlägigen Vorschriften über das von ihr eingeleitete Disziplinarverfahren erwartet werden, zumal im Verfahren nach § 62 LDG NRW dessen eindeutig formulierter Abs. 3 ins Auge springen muss."

(Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss v. 22.07.2015, Az. 35 K 4346/15.O)

Dieser disziplinarische Paukenschlag hat Seltenheitswert. Denn anstelle der eigentlichen Idee, die Behörde könne dem Beamten ein Fehlverhalten nachweisen, weist nun das Verwaltungsgericht der Behörde eigene Fehler nach. Und das Disziplinarverfahren wurde vollständig eingestellt, mit der Folge, dass das Damoklesschwert endlich beseitigt ist.

Man könnte fast mutmaßen, dass schon der Ansatz falsch gewesen wäre, das Disziplinarverfahren wäre klüger als das Strafverfahren.

In jedem Fall hat die Behörde nun Rechtsgeschichte geschrieben. Eine solche Verfahrenseinstellung wird nur selten von den Gerichten verfügt. Ein Ehrenplatz in der Kommentierung zu den Bundes- und Landesdisziplinargesetzen, die allesamt eine solche Fristsetzung und Einstellung kennen, ist also gesichert.

Leserkommentare
von Rechtsanwalt Robert Hotstegs am 30.08.2015 22:28:33# 1
Das Verfahren ist nun endgültig abgeschlossen. Entgegen der Fristsetzung und Einstellung hatte die Behörde dann doch noch von sich aus eine Disziplinarklage erhoben. Dies widersprach aber natürlich den beiden vorangegangenen und hier vorgestellten Verfahren. Die Behörde hatte dann ein spätes Einsehen und hat die Disziplinarklage wieder zurückgenommen.
    
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