Wenn ein Anwalt seine Geschäftsgebühr mit der Glaskugel begründet

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Kostennote von Rechtsanwalt über 2.077 Euro für eine simple Verjährungsanfrage bei der Versicherung?

Mein Nachbar hatte mich vor einiger Zeit aufgesucht, da er ein Problem mit seiner Versicherung hatte. Die Versicherung wollte sich um eine lebenslange Rente in Höhe von monatlich 250 Euro drücken. Ich hielt das Vorgehen der Versicherung für schäbig und riet ihm, sich einen Anwalt zu nehmen. Die Wahl fiel auf einen Anwalt, der in einer größeren Kanzlei tätig und auf Medizinrecht und Versicherungsrecht spezialisiert war.

Als mein Nachbar bei diesem Anwalt zum vereinbarten Termin in der Kanzlei vorsprach, schaute man ihn am Empfang mit großen Augen an. "Ach, hat Ihnen niemand Bescheid gesagt? Der Anwalt ist zum Zahnarzt, der Termin fällt leider aus."

Oha, das ging ja gut los. Ein anderer Rechtsanwalt nahm die Daten meines Nachbarn auf, damit der Kanzleibesuch wenigstens nicht ganz umsonst war. Zur Sache sagte er nichts. "Der verhinderte Kollege wird sich bei Ihnen telefonisch melden." Als mein Nachbar aber auch zwei Wochen später immer noch nichts von "seinem" Anwalt gehört hatte, musste er selbst in der Kanzlei anrufen. Der Anwalt war auch diesmal nicht zu sprechen, erneut wurde ein Rückruf angekündigt.

Der Rückruf erfolgte dann auch tatsächlich. Man sprach eine halbe Stunde am Telefon über den Fall. Der Anwalt wollte zunächst mal bei der Versicherung nachfragen, ob man in eine Verjährung laufen könnte. Erst danach wollte man mögliche weitere Schritte besprechen. Auf die Frage meines Nachbarn, mit was für Kosten man denn bei einer Klage rechnen müsse, erklärte der Anwalt, wie sich der Streitwert ungefähr berechnet und dass man im Falle einer Niederlage vor Gericht mit ca. 6.000 Euro rechnen müsste.

Kurze Zeit später trudelte bei meinem Nachbarn ein Brief vom Anwalt ein: Er hatte bei der Versicherung wegen der Verjährung angefragt, die Versicherung sah diese aber als gehemmt an, da sie selbst ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Der Anwalt schrieb also nun an meinen Nachbarn, zunächst von weiteren Maßnahmen absehen und das neue Gutachten abwarten zu wollen. Mit freundlichen Grüßen, anbei die Kostennote:

2.077,74 Euro.

Mal kurz zusammengefasst: Mein Nachbar geht umsonst zu einem Termin, muss dem Anwalt dann hinterhertelefonieren und erhält endlich ein Erstberatungsgespräch am Telefon. Der Anwalt schreibt einen Dreizeiler an die Versicherung, fragt darin nach der Verjährung, also eine einfache Tätigkeit, die keinerlei Expertise voraussetzt oder beinhaltet. Für diese Leistung rechnet er 2.077,74 Euro ab. Das ist "sportlich". Wundert es da irgendjemanden, wenn Mandanten Angst haben, einen Anwalt zu mandatieren und um ihr Recht zu kämpfen?

Der Mandant hatte zu diesem Zeitpunkt mit einer Rechnung von maximal 300 Euro gerechnet, für die Erstberatung und den Brief. Der Anwalt rechtfertigte seine Kostennote auf Nachfrage mit der "Wichtigkeit des Falles" für den Mandanten und mit seiner abzusehenden weiteren Tätigkeit in der Zukunft in diesem Fall. Das halte ich für ziemlich frech. Eine 2.0 Geschäftsgebühr mit "sich üblicherweise anschließender Korrespondenz über vermeintliche gutachterliche Wertungswidersprüche etc." zu begründen - der Anwalt nennt es Erfahrung, ich nenne es Betrug. Wenn die zukünftige Glaskugeltätigkeit doch nicht anfällt, korrigiert der Anwalt seine alte und bereits bezahlte Kostennote dann von sich aus und überweist das Geld zurück? Wohl kaum.

Der betreffende Anwalt ist Doktor, MLE, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht und, man höre und staune: Mediator. Den Titel Hellseher konnte ich nirgends entdecken.

2.077,74 Euro für eine Verjährungsanfrage an eine Versicherung und eventuell ein vorheriges Lesen eines Gutachtens ist nicht billig. Es ist grob unbillig.

Mein Nachbar hat dem Anwalt das Mandat entzogen und Korrektur der Kostennote verlangt, da die 2.0 Gebühr weder angefallen ist noch jemals anfallen wird. Empfehlen wird er diesen Anwalt und die ganze Kanzlei nicht. Wird er jetzt überhaupt weiter gegen die Versicherung um sein Recht kämpfen? Ich weiß es nicht.

Für gute Arbeit darf man sich auch gut bezahlen lassen, gar kein Problem. Man kann seine Leistung auch zeitnah abrechnen, auch kein Problem. Leistung und Gegenwert sollten dann aber auch nachvollziehbar und das Honorar vorher kommuniziert und begründet sein. Anwälte sollten sich grundsätzlich fragen, ob sie aus einem Elfenbeinturm heraus tätig sein und sich hinter zwei Staatsexamen, Fachanwaltschaften, Doktortiteln, LL.Ms und MLEs und dem RVG verstecken - oder ob sie Mandanten als Kunden und Ihre Tätigkeit als Dienstleistung betrachten wollen. Wie kommt das, was ich mache, bei meinem Auftraggeber an? Fachliche Kompetenz ist das eine, Service, Transparenz und Empathie (Mediator?) für den Mandanten das andere.

Update vom 31.5.2016: Die als Schlichtungsstelle eingeschaltete Kammer hielt eine 1.0 Gebühr eher für gerechtfertigt. Der Anwalt wollte aber weiterhin 2.0 Gebühr abrechnen. Der Mandat beharrte darauf, dass nur eine 0,3 Gebühr angefallen sei. Mandant überwies also nur die 0,3 Gebühr an den Anwalt und ließ sich von Anwalt auf den Rest verklagen. Die Klage wurde vom Gericht vollumfänglich abgewiesen, Mandant und Gerechtigkeit haben gesiegt :-)

Leserkommentare
von guest-12304.06.2018 10:31:36 am 23.01.2015 21:19:09# 1
Das Kapitel "Lernen fürs Leben" wäre damit abgearbeitet ...
Ob Steuerberater, Notar, Arzt, Architekt oder Anwalt - wer nach Gebührenordnung abrechnet, muss nicht wirklich geholfen haben. Gegen einen Anwalt zu klagen, hat vermutlich wenig Ausssicht, da man ja dazu auch einen Anwalt braucht. Das klappt nur, wenn man weiss, dass die beiden nicht im gleichen Golfclub sind ...
Das Abrechnen vierstelliger Beträge für dreizeilige Briefe ist nicht unüblich in dem Gewerbe. Deshalb sollte man ja auch unbedingt rechtsschutzversichert sein.
Für private Einzelfälle sind Grosspraxen mit dezenten Edelsteinintarsien in Carraramarmorschreibtischplatte schlicht der falsche Ansprechpartner. Wenn dann gleich der erste Termin platzt, gilt: Absatz kehrt und Rückzug!
Immer erstmal gucken, wie man mit dem Typ oder der Typin überhaupt klarkommt, bevor man den Freifahrtschein (Vollmacht) unterschreibt. Oft hat ein kleiner Anwalt hinter den Stadtgrenzen mehr Elan, als der Angestellte in der Grosskanzlei, der in Wirklichkeit die Arbeit macht, während der beweihräucherte Doktor Doktor Professor auf einer Sektparty "schwer beschäftigt" ist.

Zur Sache: hier würde ich eine schriftliche Erklärung zur Berechnung anfordern und diese gegebenenfalls bei der Anwaltskammer prüfen lassen. Das kostet erstmal nix und dann ist man schon mal orientiert, ob weiteres Dagegengehen Erfolg hat.

Und dann doch nochmal Mut zusammennehmen und bei anderen Kollegen mit weniger Titeln informieren, ob die eigentliche Sache überhaupt Erfolgsaussicht hat.
    
von go407251-74 am 03.02.2015 17:42:00# 2
Zum Glück leben wir -noch- nicht in einer derartigen Bananenrepublik, inder RA''''s machen können, was sie wollen. Eine Klage gegen die illegalen Praktiken des RA ist IMMER möglich...Solche RA wollen wir nicht in D....
    
von guest-12304.06.2018 10:31:36 am 05.02.2015 23:07:00# 3
Eine Klage ist selbstverständlich möglich ...
Wer in einem Zivilprozess gegen einen Rechtsanwalt als Beklagten schon mal gewonnen haben sollte, kann sich hier gerne melden - interessiert mich wirklich, ob es das schon mal gegeben haben soll.
    
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