"Mit Jura kann man alles machen"

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Wenn die Holschuld streng akzessorisch mit der Glaubhaftmachung fangen spielt

Hilfe, wir sind umzingelt! Überall wimmelt es mittlerweile von Rechtsanwälten in Deutschland. Noch nie gab es so viele Volljuristen, nicht zu verwechseln mit vollen Juristen, die auf den hart umkämpften Anwaltsmarkt drängen. Doppelt so viele wie vor 15 Jahren, fast 133.000 Rechtsanwälte wetteifern heute um Mandate. Auf eine leere Stelle kommen mittlerweile locker 280 Bewerbungen, und bald kann man sich Rechtsanwälte mieten und sie bei sich in den Garten neben Teich und Zwerge stellen. Oder zum Einkaufen mitnehmen, zum Tüten packen. Wenn man nicht einschlafen kann, könnten Anwälte einem auch aus dem Schönfelder vorlesen, oder aus einem schicken Alternativkommentar.

Und es hört überhaupt nicht mehr auf! Die Zahl der Studienanfänger für Jura war im Jahr 2003 so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Um Himmels Willen, wohin mit den ganzen Rechtswissenschaftlern? Was wollen die alle in der Juristerei? Wahrscheinlich sind Ally, Edel und Stark daran Schuld. Oder sind es gar diese aufdringlichen Gerichtsshows, die fast schon so omnipräsent sind wie Jamba und so gar nichts mit der Realität gemein haben. Vielleicht ist es aber auch die seit Jahrhunderten gepflegte Sage, dass man "mit Jura ja alles machen kann". Juristen kann man immer brauchen.

Klar kann man das. Juristen können Bestsellerautoren oder lustige Fernsehmoderatoren werden. Ungefähr 0,001 Prozent aller Jurastudenten sind dazu in der Lage.

"Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte. Ich kann keine Naturwissenschaften, Mathe fand ich schon immer doof, und in Sprachen bin ich auch ziemlich schlecht. Eigentlich war ich nur im Fach Deutsch ganz gut, und da dachte ich mir, ich studiere mal Jura. Damit hat man dann ja viele Möglichkeiten." Diese Argumentation hört man oft, fragt man angehende Juristen nach ihrer Motivation. Super Aussichten für eine juristische Karriere! Aber später, da können sie mit Jura "dann alles machen".

"Ich kann nur deutsch." Nur wie lange noch? Juristen und deutsch, das ist ein ähnlich poetisches Pärchen wie Jeckyll und Hyde, Ernie und Bert, Focus und Thränhardt. Das passt einfach nicht. Keine Harmonie. Nach erfolgreich absolviertem Jurastudium sind nur noch maximal fünf Prozent der Abgänger in der Lage, mit Nichtjuristen zu kommunizieren. Womit auch die letzten angehenden Bestsellerautoren von den Lehren der Universitäten weggesiebt wurden. Vor lauter Konjunktiven, erfundenen Wörtern, Substantivierungen, Paragrafen und Subsumtionen, Fachwörtern, Kommas, Passiv, Nebensätzen und Verschachtelungen sieht ein frisch gebackener Jurist den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wörter wie Schickschuld und Akzessorität tragen auch nicht gerade dazu bei, sich mit anderen Menschen noch gut verständigen zu können.

Das klingt dann ungefähr so: Es könnte sein, dass im Wege fortgeführter Verlautbarung von juristischen Sagen und anhaltender Irreführung durch mediale Glaubhaftmachung, unterstützt von allgemeiner Perspektivlosigkeit und den unwiderlegbaren Folgen des in der Allgemeinheit als so genannter Pisa-Schock in die Geschichte eingegangenen Versagens von Lehrkörpern und Behörden, der Überschwemmung von deutschen Landen mit einer zunehmenden Zahl von Rechtswissenschaftlern auch nachhaltig kein Einhalt geboten werden kann, ganz im Gegenteil, einer Verbesserung des Anwaltsmarktes könnte dies sogar vehement entgegenstehen. Ein dringliches Tätigwerden der Verantwortlichen in der Gesellschaft wäre hier ein zu wünschendes Ergebnis des vorliegenden Tatbestandes. Ganz ohne Sachverhaltsquetsche.

Und wenn Juristen nicht verlernen würden, wie man mit Nichtjuristen spricht, nebenbei rechnen, englisch, französisch und chinesisch sprechen könnten, mit wirtschaftlichen Angelegenheiten genauso vertraut wären wie mit biologischen und technischen Sachverhalten - tsja, dann könnten Juristen tatsächlich konkurrenzlos gute Anwälte werden. Und sogar "alles machen". Auch Bestsellerautor werden. Ohne Konjunktiv. Ehrlich.

Quod erat demonstrandum.

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