Abwehr von Bahn­lärm

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An Schlafraumfenstern vieler Wohnhäuser im Rheintal und an anderen Güterzugstrecken werden bei Dutzenden von Zugvorbeifahrten jede Nacht Maximalpegel von über 100 dB(A) gemessenen. Nach mehreren solchen Lärmereignissen schaukelt sich beim Schläfer die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde auf einen Anteil im, Blut, der zum Aufwachen führt. Nach Eröffnung des Gotthard-Basistunnels werden sich die nächtlichen Störungen entlang der Nord-Süd Magistrale verdoppeln.

Hauseigentümer steht ein zivilrechtlicher Rechtsanspruch auf Unterlassung von nicht ortsüblichen wesentlichen Beeinträchtigungen der Wohnnutzung durch Lärm und Erschütterungen gegen den Grundstücksnachbarn zu (§ 906 BGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind Beeinträchtigungen oberhalb der Immissionswerte  der Verkehrslärmschutzverordnung von tags/nachts Leq 64/54 dB(A) wesentlich und begründen einen Anspruch auf vorrangig aktiven Schallschutz.

Anwohner von Bahnstrecken durch Boppard, Emmerich, Hann.-Münden, Pohlheim bei Köln, München, Neuss und Wesel haben jetzt durch einen auf Lärmschutz spezialisierten Fachanwalt gegen die Deutsche Bahn Netz AG ihren Rechtsanspruch auf Unterlassung von Lärm und Erschütterungen der Bahn geltend gemacht. Sie wenden sich insbesondere gegen die besonders störenden Maximalpegel, denn der Rechenwert des gemittelten Dauerschallpegels sagt nichts über die Störwirkung und das Aufwachen aus. Die Anwohner begründen auch aus neueren lärmmedizinischen Untersuchungen ihre Forderung, den Schienenbonus von 5 dB(A) bei nächtlichem Güterzuglärm nicht anzuwenden. 

Wie nicht anders zu erwarten bestreitet die Deutsche Bahn AG die Meßwerte und die Erheblichkeit des Lärms. Zur Begründung des Bestandsschutzes kann die Bahn aber oft keinen gebotenen Planfeststellungsbeschluss für die Strecke vorlegen, in dem auch die schutzwürdigen Rechte der Anwohner abgewogen wurden. 

Das daraufhin angerufene Landgericht München I hat nach einer Hauptverhandlung mit den Parteien in einer Verfügung vom 16. November 2010 zu den Beweispflichten und Prozessaussichten eines solchen Anspruches ausgeführt:

1. Bahn muss Unwesentlichkeit des Lärms beweisen

Die Deutsche Bahn Netz AG hat »die Unwesentlichkeit der von ihren Bahnstrecken auf die klägerischen Grundstücke einwirkenden Beeinträchtigungen nachzuweisen. Hierzu wird zunächst ein Sachverständigengutachten über die Einhaltung der Schallgrenzwerte gemäß. § 2 der 16 Bundesbesoldungsordnungen einzuholen sein.«

Da die Deutsche Bahn Netz AG »für keine der an dem klägerischen Grundstücken vorbeiführenden Bahnstrecken eine öffentlich-rechtliche Genehmigung nachgewiesen hat, dürfte mangels Ortsüblichkeit ein Ausschluss von Unterlassungsansprüchen gem. § 906 Abs. 2 BGB nicht greifen.

2. Betriebsbeschränkungen bzw. aktive Schallschutzmaßnahmen ab 64/54 dB(A)

Erst recht nicht kann sich, so das Landgericht, die Bahn nicht auf den Ausschluss oder die Beschränkung privatrechtliche Ansprüche durch eine Planfeststellungswirkung berufen, da ein Planfeststellungsbeschluss weder vorgetragen noch vorgelegt worden ist. Das heißt, sollte die Bahn die Einhaltung der Grenzwerte der 16. BImSchV nicht nachweisen können, kommen Ansprüche der Kläger auf Betriebseinschränkungen oder -einstellung in Betracht.«

Dies ist eine Bestätigung der überwiegenden Erfolgsaussichten der Musterklage zu Gunsten aktiver Schallschutzmaßnahmen gegen den Lärm und die Erschütterungen der nächtlichen Güterzüge.

3. Beweisverfahren

In Musterprozessen haben weitere Anwohner mit Unterstützung ihrer Rechtsschutzversicherung das jeweils zuständige Landgericht angerufen und in einem Beweisverfahren (§ 485 ZPO) die Messung von Lärm und Erschütterungen durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen beantragt. 

In den erstmals gegen die Bahn wegen Lärm, Erschütterungen und Gesundheitsschäden durchgeführten zivilprozessualen Beweisverfahren wird eine sachverständige Messung und kontrollierende Berechnung des Lärms im Auftrag des Landgerichts angestrebt.

Die Messung des Lärm ist entscheidend, weil eine bloße Berechnung des Lärm den realen Lärm nach der einschlägigen Vorschrift unterschätzt. Fünfjährige Meßreihen belegen nach der Bewertung des Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, dass die Berechnungsvorschrift "Schall 03" den realen Lärm zu Lasten der Anwohner unterschätzt. Die schadhaften Räder, Achsen und Waggons unterscheiden sich doch erheblich und lassen sich nicht fachgerecht in eine Formel umsetzen.

Gemessen werden sollen auch die Maximalpegel der nächtlichen Vorbeifahrten von Zügen, weil gerade von der Lautstärke, der Frequenz, der Dauer und der Häufigkeit der Lärmereignisse die nächtlichen Schlafstörungen ausgehen.

Auch die Messung der der vom Betrieb der Bahnstrecken ausgehenden Erschütterungen wird in dem Verfahren angestrebt. Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie hatte im Rheintal gesundheitsgefährdende maximale Schwingstärken festgestellt.

4. Lärm macht krank

Nach Abschluss der Messungen wird im zweiten Schritt gutacherlich die Gesundheitsbeeinträchtigung etwa durch Bluthochdruck oder Lärmstress überprüft.

5. Nachtfahrverbot

Als dritter Schritt werden Einschränkungen des nächtlichen Güterverkehrs eingeklagt, bis aktive Schallschutzmaßnahmen realisert sind.

6. Lärmrente

Weist die Bahn nach, dass ein Fahrverbot oder aktiver Schallschutz wirtschaftlich unzumutbar sind, werden die Kläger die Zahlung erstmals einer "Lärmrente" als Entschädigung einklagen.

7. Rechtsschutzversicherung

Für die erheblichen Kosten der Verfahrens tritt jeweils eine Rechtsschutzversicherung ein.

8. Abschätzung der Lärmbelastung

Anwohner von Bahnstrecken können mit einem Lärmrechner abschätzen, ob sie ebenfalls einen Schutzanspruch gegen die Bahn haben. Zur Nutzung des Rechners unter

http://www.moeller-bahn.de/

ist die Ermittlung folgender Fakten nötig:

a. Dividieren Sie die Zahl der von Ihnen gezählten Güterzüge nachts (22-06 Uhr) durch 8 (Std.) und geben Sie diese Zahl unter "Mittlere Zahl der Züge je Stunde" ein.

b. In einem späteren zweiten Rechengang geben Sie gesondert die Division der gezählten Güterzüge tags (6-22 Uhr) durch 16 an gleicher Stelle ein.

c. Unter "Anteil scheibengebremster Waggons" geben Sie den Wert für Güterzügen mit "0%" an.

d. Unter "Zuglänge" geben Sie eine grobe Abschätzung ein; ein Güterzug darf höchstens 835 m lang sein.

e. Unter "Geschwindigkeit der Züge" geben Sie Ihre Messung oder Schätzung ein; Güterzüge fahren in der Regel etwa 90–120 km/h, nur der Parcel InterCity 140 - 160 km/h.

f. Unter "Fahrzeugart" wählen Sie bei Güterzügen "alle anderen Fahrzeugarten".

g. Unter "Fahrbahn" wählen Sie "Schotterbett, Betonschwelle" oder "Schotterbett Holzschwelle" oder "Feste Fahrbahn" aus.

h. Unter "Abstand zur Achse des Gleises" geben Sie Ihre Messung ggf. unter Nutzung von Google Earth ein.

i. Unter "Höhe des Immissionsortes über Schienenoberkante in Meter" geben Sie Ihre Schätzung ein.

9. Informationen zu den Verfahren

Im "Fach-Forum Bahnlärm" wird über den Fortgang der Verfahrens laufend berichtet.

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