Lärm von Windkraftanlagen

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Wann müssen Windkraftanlagen zum Lärmschutz nachts abgeschaltet werden?

Der Sachverhalt

Der Beklagte betreibt zwei Windkraftanlagen des Typs Enercon E 40 mit einer Gesamthöhe von jeweils 85 m und einer Nennleistung von 500 KW in einer Entfernung zum Wohnhaus der Kläger von 270 bzw. 310 m. Das Haus liegt im baurechtlichen Außenbereich in einem Dorfgebiet. Der Beklagte beruft sich gegenüber den Beschwerden der Kläger, die Windkraftanlagen seien zu laut, darauf, dass die in der TA-Lärm festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten würden. In einem selbständigen Beweisverfahren hat der Sachverständige bei Betrieb aller Anlagen einen Lärmpegel am Haus der Kläger von 46 bis 47 dB (A) gemessen. Die Parteien streiten darüber, ob bei der Frage des nach der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) zulässigen Grenzwertes von nachts 45 dB (A) von diesem gemessenen Pegel auszugehen ist oder ob - wie dies der Sachverständige getan hat - ein Messabschlag von 3 dB (A) vorzunehmen ist.

Die Gerichtsentscheidung

Beruft sich der Störer darauf, dass die in der TA-Lärm festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten seien, so dass nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen sei, so ist von dem ermittelten Lärmpegel kein Messabschlag zu machen, wie er nach Nr. 6.9 der TA-Lärm für Überwachungsmessungen vorgesehen ist. Nur wenn ohne diesen Abschlag die Immissionen diesen Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, dass dem Störer die sich aus § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ergebende Beweiserleichterung zugebilligt werden kann (Bundesgerichtshof, Urteil vom 8.10.2004 Az V ZR 85/04)

Der BGH hat den Beklagten daher verurteilt, den Betrieb der beiden Windkraftanlagen jeweils in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu unterlassen.

Dazu im Detail:

Das Berufungsgericht hielt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht für begründet, da der Betrieb der Windkraftanlagen die Benutzung des Grundstücks der Kläger nur unwesentlich beeinträchtige. Dies folge daraus, dass der in der TA-Lärm im konkreten Fall maßgebliche Grenzwert von 45 dB (A) nach den Feststellungen des Sachverständigen eingehalten werde. Es sei nämlich nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige in Anwendung von Nr. 6.9 einen Messabschlag von 3 dB (A) gemacht habe. Zum einen seien die Bewertungs- und Ermittlungsmaßstäbe der TA-Lärm nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB auch im Verhältnis von Privatpersonen zueinander verbindlich. Zum anderen sei die Bewertungssituation vergleichbar. Nr. 6.9 gelte für eine Überwachungsmessung zur Klärung, ob ein Einschreiten der Behörde geboten ist. Dem gleiche die vorliegende Situation, in der von dem Beklagten auf privatrechtlicher Ebene eine Betriebsunterlassung verlangt werde. Werde aber der zulässige Grenzwert nicht überschritten, so sei nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB im Regelfall, und so auch hier, von einer nur unwesentlichen und damit hinzunehmenden Beeinträchtigung auszugehen.

Nach Bewertung des BGH verletzt diese Auslegung die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast.

Duldungspflicht bei unwesentlichen Beeinträchtigungen

Die von den Windkraftanlagen herrührenden Lärmimmissionen sind von Wohnnachbarn dann zu dulden, wenn sie keine oder eine nur unwesentliche Beeinträchtigung darstellen (§ 906 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen ab und davon, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist (BGHZ 120, 239, 255; 121, 248, 255; 146, 261, 264).

Gesetzliche Begünstigung des Störers bei der Darlegungs- und Beweislast

Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenzen oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden (§ 906 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das bedeutet, dass der Grundsatz, wonach der Störer darlegen und beweisen muss, dass sich eine Beeinträchtigung nur als unwesentlich darstellt (BGHZ 120, 239, 257), eine Einschränkung zu seinen Gunsten erfährt. Die in § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB genannten Grenz- oder Richtwerte stellen Umstände für eine Indizwirkung dar. Werden sie überschritten, indizieren sie die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung, werden sie eingehalten oder unterschritten, so indizieren sie die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung (BGH, Urt. v. 13. Februar 2004, V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1318).

Trotz dieser Indizwirkung der normierten Werte kann ein Gericht im Rahmen seines Beurteilungsspielraums von dem Regelfall abweichen, wenn dies besondere Umstände des Einzelfalls gebieten. Darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen sind solche die Indizwirkung erschütternde Umstände von demjenigen, der trotz Einhaltung der Grenzwerte eine wesentliche Beeinträchtigung geltend macht. Im Übrigen bleibt es aber bei der Darlegungs- und Beweislast des Störers. Er muss darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass seine Emissionen innerhalb der Grenz- oder Richtwerte bleiben. Nur wenn dies feststeht, kommt ihm die Indizwirkung zugute.

Weitere Begünstigung des Störers durch Messabschlag (- 3 dB) für Überwachungsmessungen?

Der Zweck des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB und die damit verbundene Regelung der Darlegungs- und Beweislast steht nach Auffassung des BGH einer Anwendung von Nr. 6.9 TA-Lärm zur Ermittlung des Richtwertes entgegen. Der Messabschlag von 3 dB (A) für Überwachungsmessungen ist nicht vorzunehmen.

Dabei brauchte der BGH nicht zu entschieden, ob die Berücksichtigung eines solchen Abschlags schon deswegen nicht in Betracht kommt, weil es sich vorliegend unstreitig nicht um eine Überwachungsmessung handelt.

Der in dem zu entscheidenden Fall einzuhaltende Richtwert beträgt nach Nr. 6.1 TA-Lärm in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr 45 dB (A). Der Messabschlag nach Nr. 6.9 TA-Lärm führt nicht zu einer Erhöhung dieses Wertes. Er dient vielmehr dem Ausgleich von eventuellen Messungenauigkeiten und soll gewährleisten, dass die Behörde aufgrund einer Überwachungsmessung nur dann gegen den Betreiber einer störenden Anlage einschreitet, wenn auch unter Berücksichtigung aller Eventualitäten sichergestellt ist, dass die Immissionen den Richtwert überschreiten (vgl. BVerwG, DVBl. 2001, 1451, 1455). Er trägt damit vor allem auch dem Umstand Rechnung, dass die Beweislast für die Voraussetzungen zum Eingriff in die Rechte des Betreibers bei der Behörde liegt; Unsicherheiten bei der Sachverhaltsermittlung gehen daher zu ihren Lasten (Hansmann, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, 3.1. TA-Lärm Nr. 6 Rdn. 35 ff.).

Trägt nun aber der Störer – wie im Bereich des privatrechtlichen Immissionsschutzes gesetzlich in § 906 BGB geregelt - die Darlegungs- und Beweislast für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung und damit für die Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte, die nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB die Indizwirkung auslöst, so gehen – nach der Bewertung des BGH – in gleicher Weise Unsicherheiten bei der Sachverhaltsermittlung zu seinen Lasten:

"Das führt dazu, dass die gemessenen Werte allein entscheidend sind und nicht um einen Messabschlag reduziert werden dürfen. Nur wenn ohne diesen Abschlag die Immissionen den Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, dem Störer die Beweiserleichterung des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zuzubilligen. Gewährte man sie ihm schon dann, wenn die Grenze nur mit Hilfe eines Messabschlags eingehalten wird, so gingen Messungenauigkeiten oder sonstige Unsicherheiten zu Lasten des Beeinträchtigten. Das ist mit den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im privaten Immissionsschutzrecht nicht vereinbar.

Das schließt nicht aus, dass auch in einem solchen Fall eine Duldungspflicht bestehen kann. Besondere Umstände des Einzelfalls geben dem Tatrichter die Möglichkeit, im Rahmen seines Beurteilungsspielraums auch dann die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung zu verneinen. Nur streitet hierfür nicht die Regelvermutung des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Auch insoweit gibt es Parallelen zum öffentlichen Recht. Auch dort können besondere Umstände des Einzelfalls die Behörde zum Eingreifen berechtigen, obwohl die Immissionsrichtwerte nur ohne einen Abschlag von 3 dB (A) überschritten sind."

Konsequenzen für die Praxis

Da der Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, die den Schluss darauf zulassen, dass trotz Überschreitens des zulässigen Immissionsrichtwertes für die Nachtzeit von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist, hat der BGH dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch stattgegeben und den Betrieb der Windkraftanlagen zur Nachtzeit untersagt. Hier besteht in Parallelfällen also eine Möglichkeit für den Windmüller, das scharfe Schwert der Nachabschaltung abzubremsen.

Grundsätzlich besteht nur ein Anspruch von Wohnanliegern darauf, wesentliche Lärmimmissionen zu unterlassen. Wie dies bewerkstelligt werden kann, ist grundsätzlich Sache des Störers (BGHZ 67, 252, 253; BGH Urt. v. 12. Dezember 2003, V ZR 98/03, NJW 2004, 1035). Dies gibt Anlagenbetreibern die Möglichkeit der aktiven Lärmminderung, etwa durch Drosselung von Drehzahlen, Geschwindigkeit u.ä. .

In vorliegenden Fall bestand indes in den Tatsacheninstanzen kein Streit darüber, dass der zulässige Richtwert in der Nacht nur dann eingehalten werden kann, wenn zwei der Anlagen ausgeschaltet werden. Daher musste der BGH dem darauf gerichteten Klageantrag stattgeben.Das Urteil lädt zu der Überprüfung ein, ob bei Lärmmessungen nicht nur von Windkraftanlagen, sondern generell von lärmverursachenden Maschinen in der zivilrechtlichen Lärmabwehr fehlerhaft der Messabschlag von 3 dB zugunsten des Anlagenbetreibers berücksichtigt wurde und ob bei dessen Nichtberücksichtigung der Grenzwert überschritten wird. Für diesen Fall steht den Wohnanliegern ein einklagbarer erfolgversprechender Anspruch auf Unterlassung der wesentlichen Lärmimmissionen zu.

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