Abzweigung von Kindergeld für volljähriges behindertes Kind rechtens?

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Immer häufiger versuchen Sozialämter, die für behinderte Kinder Leistungen der Grundsicherung erbringen, an das Kindergeld zu kommen, das bisher an die Eltern des Kindes ausgezahlt wurde.

Eltern, die in der Regel schon lange Zeit ihre behinderten und erwerbsunfähigen Kinder versorgen und bislang das Kindergeld für diese Kinder erhalten haben, werden nun von den Sozialämtern aufgefordert, das Kindergeld an ihr Kind weiterzuleiten. In manchen Fällen wird das grundsicherungsberechtigte Kind aufgefordert, bei der Familienkasse einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst zu stellen.

In beiden Fällen  - Auszahlung oder Weiterleitung – hätte der behinderte Mensch (zusätzliches) monatliches Einkommen in Höhe des Kindergeldes.

Seine Grundsicherungsleistungen würden dann in dieser Höhe gekürzt.

Grundlage für diese Handhabung ist § 74 Abs.1 EStG, wonach das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 an das Kind ausgezahlt werden kann, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, oder wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Die Sozialämter berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Dezember 2008 (Aktenzeichen III R 6/07), wonach das eigentlich den Eltern zustehende Kindergeld an den Sozialleistungsträger abgezweigt und damit letztlich an diesen ausgezahlt werden darf, wenn der Kindergeldberechtigte nicht zum Unterhalt seines volljährigen behinderten Kindes verpflichtet ist, weil es Grundsicherungsleistungen erhält.

Mit zwei Urteilen vom 8. Februar 2007 (Az. B 9b SO 5/05 R und B 9b SO 5/06 R) hatte das

Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Kindergeld, das Eltern für ihr behindertes Kind

beziehen, grundsätzlich nicht bedarfsmindernd auf die Grundsicherung angerechnet werden darf. Denn beim Kindergeld handele es sich regelmäßig um Einkommen der Eltern..


Es folgte zu diesem Thema ein Urteil des BFH vom 9. Februar 2009 (Az. III R 37/07), wonach die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger dem Grunde nach auch dann erfüllt sind, wenn der Kindergeldberechtigte nicht zum Unterhalt seines volljährigen behinderten Kindes verpflichtet ist, weil es Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erhält.

Neuere Entscheidungen - u.a. Urteil des Finanzgerichts Münster - Az. 12 K 1891/10 Kg -  geben Anlass, darauf hinzuweisen, dass es sich für Eltern lohnen könnte, sich gegen eine Abzweigung von Kindergeld zu wehren.

Wenn sie nämlich nachweisen können,

-  dass sie für das Kind durchschnittliche monatliche Kosten mindestens in Höhe
   des Kindergeldes haben, und
-  dass die Leistungen, die sie für ihre Kinder erbringen, nicht von der
   Grundsicherungsleistung umfasst sind,

stehen die Chancen für eine erfolgreiche Gegenwehr ganz gut.

In jedem Fall sollten sie die Ausgaben für ihr behindertes Kind dokumentieren (z.B. auch Fahrten zum Arzt) und Belege aufbewahren, denn es kommt auf die tatsächlichen Aufwendungen an, und diese müssen nachgewiesen werden.


Falls die Eltern Unterhaltszahlungen für ihr Kind erbringen, sollten sie darauf achten, dass damit nicht gleiche Zwecke verfolgt werden wie durch die Grundsicherungsleistungen. Andernfalls müssten sie damit rechnen, dass ihre Zahlungen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet werden, denn durch die Zahlungen der Eltern hätte sich der Grundsicherungsbedarf des Kindes verringert.

Solche Aufwendungen könnten „gefahrlos“ getätigt werden z.B. für behindertenbedingten Mehrbedarf, dieser wäre nicht von den Grundsicherungsleistungen abgedeckt.

Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Familienkasse, Kindergeld an den Sozialhilfeträger abzuzweigen, ist der Einspruch.
Wurde das grundsicherungsberechtigte behinderte Kind aufgefordert, einen Abzweigungsantrag an sich selbst zu stellen, sollte es sich, wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, ebenfalls dagegen zur Wehr setzen.

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