Die wichtigsten Änderungen bei Hartz IV ab dem 01. August 2006

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I. Beweislastumkehr bei eheähnlichen Gemeinschaften

Von Rechtsanwalt Patrick Inhestern

Im Schatten der Fußballweltmeisterschaft hat die Große Koalition die zweite Veränderungswelle für das SGB II auf den Weg gebracht. Das so genannte SGB II – Optimierungsgesetz bringt über 50 Neuerungen mit sich, die ab dem 01. August für die Betroffenen Wirklichkeit werden. Nicht jede Neuerung entfaltet für die Betroffenen spürbare Wirkungen. Diese Darstellung beschränkt sich daher auf die wesentlichen Neuerungen, also insbesondere diejenigen, die sich direkt auf den Geldbeutel der Betroffenen auswirken.

Unter der bisherigen Rechtslage sowohl von Antragsstellern als auch den jeweils zuständigen Arbeitsgemeinschaften heftig umkämpftes Thema war das eventuelle Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, soweit ein Hilfeempfänger mit einer nicht bedürftigen Person eine gemeinsame Wohnung nutzte. Hier mussten bislang die ARGEn dem Hilfeempfänger das Leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft nachweisen bzw. im Rechtsstreit vor dem Sozialgericht beweisen. Der Hilfeempfänger konnte sich auf die Behauptung zurückziehen, eine eheähnliche Gemeinschaft liege nicht vor. Da eine Verpflichtung, den ARGEn Zutritt zu einer gemeinsam genutzten Wohnung zu gewähren, sich dem Gesetz nicht entnehmen ließ, konnten die ARGEn den Nachweis des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft im Regelfall nicht erbringen. Damit ist nun Schluss.

Patrick Inhestern
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Ab Anfang August gilt die Vermutung, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt, wenn eine hilfebedürftige Person mit einer anderen Person auf Dauer in einer Wohnung zusammenlebt oder der Wohnraum gemeinsam genutzt wird, und bei verständiger Würdigung davon auszugehen ist, dass die Partner füreinander einstehen. Diese Vermutung kann durch eine bloße Behauptung nicht widerlegt werden. Die hilfebedürftige Person muss das Nichtvorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft nunmehr beweisen. Dieser Beweis wird in der Regel nur zu erbringen sein, indem den ARGEn Zutritt zu gemeinsam genutzten Wohnungen gewährt wird.

II. Gleichstellung der lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften

Die äußerst fragwürdige Rechtsfigur der eheähnlichen Gemeinschaft hatte bislang nur Geltung bei heterosexuellen Paaren. Deshalb konnten unter bisherigerer Rechtslage homosexuelle unverheiratete Paare, von denen nur einer bedürftig im Sinne des SGB II war, so eng mit einander verflochten im Sinne einer Haushalts, Lebens – und Leidensgemeinschaft leben, wie es ihnen beliebte. Da Homosexuelle keine Ehe, sondern eine Lebenspartnerschaft führen, konnten sie gerade nicht unter den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft gefasst werden. Dementsprechend kam es in diesem Bereich auch nicht zu Leistungskürzungen und Leistungseinstellungen durch die ARGEn. Ab dem 01. August 2006 enthält § 7 SGB II im Kontext der Bedarfsgemeinschaften auch den Begriff der lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft. Es erfolgt damit also eine Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften mit nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingetragenen Lebensgemeinschaften einerseits, andererseits wird die gleichgeschlechtliche lebenspartnerschaftsähnliche auch der eheähnlichen Gemeinschaft gleichgestellt. Damit sind Leistungskürzungen oder Leistungseinstellungen bei homosexuellen Paaren zu erwarten.

III. Anrechnung von Pflegegeld als Einkommen

Nach bisheriger Rechtslage hat eine Anrechung von Pflegegeld auf das Einkommen von Pflegefamilien generell nicht stattgefunden.Nach neuer Rechtslage soll eine teilweise Anrechnung des Einkommens stattfinden. Dabei soll das für das erste Pflegekind erhaltene Pflegegeld weiter anrechnungsfrei bleiben. Das für das zweite und dritte Pflegekind erhaltene Pflegegeld wird je zur Hälfte angerechnet, das für das vierte und fünfte Pflegekind erhaltene Pflegegeld wird zu 75 Prozent angerechnet, und ab dem sechsten Pflegekind wird das Pflegegeld vollständig als Einkommen angerechnet. Diese Anrechnung begründet der Gesetzgeber mit der Vermutung, dass Personen, die für mehr als ein Kind Pflegegeld erhalten, diese Kinderpflege erwerbsmäßig betreiben, und daher dem Arbeitsmarkt anderweitig nicht zur Verfügung stehen.

IV. Veränderung der Vermögensfreibeträge

Nach bisheriger Rechtslage waren bei ALG II – Bezug pro Lebensjahr 200,00 € als Vermögensfreibetrag und pro Lebensjahr 200,00 € als Altersvorsorgefreibetrag geschützt.

Ab dem 01. August 2006 wird der Vermögensfreibetrag auf 150,00 € pro Lebensjahr abgesenkt. Der Altersvorsorgefreibetrag wird demgegenüber auf 250,00 € pro Lebensjahr angehoben. Bisher für Kinder bestehende Vermögensfreibeträge sollen abgesenkt werden, um eine Nutzung der ungenutzten Freibeträge der Kinder für bei volljährigen Mitgliedern der jeweiligen Bedarfsgemeinschaft überschießendes Vermögen zu verhindern. Bei einer fünfzigjährigen bedürftigen Person wären damit im Juli 2006 noch 10000,00 € als geschütztes Vermögen anzusetzen, im August sind es dagegen nur noch 8000,00 €. Will diese Person einer Leistungseinstellung durch die ARGE für circa drei Monate entgehen, so muss sie noch im Juli 2006 2000,00 € ausgeben.

V. Arbeitslosengeld II und Untersuchungshaft

Nach bisheriger Rechtslage war eine Justizvollzugsanstalt nicht als stationäre Einrichtung im Sinn des § 7 IV SGB II betrachtet worden. Die daraus resultierende Folge waren ein ALG II – Ansprüche von Inhaftierten, solange diese nur erwerbsfähig waren.

Mit der Neuregelung soll exakt klargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen Inhaftierte wie lange Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Davon betroffen sind Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene, solange sie erwerbsfähig sind.

VI. Babyerstaustattung

Nach bisheriger Rechtslage herrschte wegen des unklaren Wortlautes in den § 23 Abs. 3 Nr. 1 und 2. Streit über den Umfang einer zu gewährenden Babyerstaustattung. Hierbei war insbesondere die Frage umkämpft, ob ein Kinderwagen im Rahmen einer Erstausstattung für eine Wohnung über § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II auf Antrag zu gewähren ist, oder ob ein solcher aus der Regelleistung zu bezahlen ist. Die Rechtsanwendung war insoweit uneinheitlich.

Nach neuer Rechtslage soll gesetzlich klargestellt werden, dass eine Babyerstaustattung auch über reine Babybekleidung hinausgehend als einmalige Leistung übernommen wird. Damit gewähren also künftig die ARGEn auf Antrag den Betrag für einen Kinderwagen.

VII. Definition des Regelleistungsbegriffs

Nach bisheriger Rechtslage sollten die Kosten für Strom und Warmwasser bereits von der Regelleistung umfasst sein. Hier sorgte eine Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim für Unklarheit. Nach dieser Entscheidung sollten die Kosten für Strom und Warmwasser den Kosten der Unterkunft zuzuordnen sein.

Insoweit wird in dem neuen Gesetzestext in § 20 Abs. 1 SGB II klargestellt, dass die Regelleistung bereits die Kosten für Strom und Warmwasser enthält.

VIII. Zusicherung der Übernahme von Umzugskosten

Nach bisheriger Rechtslage gab es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Zuständigkeiten der kommunalen Träger der Kosten der Unterkunft. Dies konnte dazu führen, dass der Betroffene von keinem Träger eine Zusicherung hinsichtlich der Übernahme von angemessenen Aufwendungen für die neue Unterkunft erhalten hat. Hieran scheiterte in der Vergangenheit oftmals der Abschluss eines Mietvertrages.Nach neuer Rechtslage wird klargestellt, dass zum einen der bisherige kommunale Träger die Kosten für einen erforderlichen Umzug zu übernehmen hat, zum anderen dieser die Zusicherung zu den Aufwendungen in Zusammenarbeit mit dem zukünftig zuständigen kommunalen Träger zu erteilen hat.

IX. Beschränkung der Kosten der Unterkunft bei nicht notwendigem Umzug

Nach bisheriger Rechtslage konnte ein ALG II – Empfänger, der bereits in einer Wohnung zu angemessenen Kosten wohnte, in eine teurere aber ebenfalls noch angemessene Wohnung umziehen, und dann die Übernahme der teureren, aber immer noch angemessenen Wohnung verlangen.Diese Möglichkeit besteht ab dem 01. August 2006 nicht mehr. Bei einem Umzug, der nicht notwendig ist, werden dann nur noch die bisherigen angemessenen Kosten der Unterkunft übernommen.

X. Weitere Änderungen

Des Weiteren soll den Neukunden der ARGEn künftig ein Sofortangebot zur Überprüfung ihrer Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme gemacht werden. Zudem sollen die im SGB II enthaltenen Mehrbedarfsregelungen für Behinderte den im SGB XII enthaltenen Regelungen gleichgeschaltet werden. Im Bereich der Sanktionen ist vorgesehen die Einrichtung von Außendiensten – soweit diese nicht ohnehin schon vorhanden sind, eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten des § 31 SGB II sowie die Schaffung einer datenschutzrechtlichen Grundlage für regelmäßige telefonische Befragungen von Leistungsbeziehern durch privatrechtliche Callcenter. Schließlich betreffen weiter Maßnahmen die Verbesserung der Verwaltungspraxis.

XI. Fazit

Einfacher wird es nicht für ALG II – Empfänger mit den vorgenommenen Änderungen. Aber ob das Ziel des SGB II – Optimierungsgesetzes – nämlich drastische Einsparungen im Bereich der ALG II – Aufwendungen erreicht werden kann, erscheint fraglich: die eingeführte Beweislastumkehr im Bereich der eheähnlichen Lebensgemeinschaft könnte in einem ersten Schritt die ARGEn veranlassen, eine Menge Leistungseinstellungsbescheide an die Betroffenen zu versenden. In einem zweiten Schritt könnten sich die Betroffenen allerdings veranlasst sehe, ihre eheähnliche Lebensgemeinschaft aufzulösen, und aus diesem Anlass eigenen Wohnraum suchen. Für den dann notwendigen Umzug in diesen dürfte dann wohl die ARGE haften, und zwar inklusive aller Nebenkosten.

Bitte beachten Sie auch die weiteren Beiträge auf unserer Website www.tarneden-inhestern.de. Für Beratung und Vertretung stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Patrick Inhestern
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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