Lebenserhaltende Maßnahmen beendet - Unfallversicherung muss zahlen

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Versicherungsleistung trotz Behandlungsabbruch - Hinterbliebene eines nach Behandlungsabbruch verstorbenen Wachkomapatienten haben Anspruch auf Hinterbliebenenrente und Sterbegeld

Bei einem Arbeitsunfall hatte der Versicherte schwerste Verletzungen erlitten und war ins Wachkoma gefallen. Er wurde mit PEG-Sonde künstlich ernährt. Trotz verschiedener Therapien, die man ihm über einen Zeitraum von zwei Jahren angedeihen ließ, konnte keine Verbesserung seines Zustandes erreicht werden.

Die Ehefrau und die drei Söhne der Eheleute haben sich daraufhin entschlossen, lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden. Vor dem Unfall hatte der Verunglückte mündlich für den nun eingetretenen Fall seinen Willen geäußert, dass bei ihm auf lebensverlängernde und lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet werden sollte.
Wenige Tage nach Durchtrennung der PEG-Sonde verstarb der verunglückte Ehemann.

Seine Ehefrau beantragte nun bei der Unfallversicherung Hinterbliebenenrente und Sterbegeld. Dieser Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass es an einem Ursachenzusammenhang zwischen den Unfallfolgen und dem eingetretenen Tod fehle. Allein ursächlich für den Tod sei vielmehr die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen. Nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren hat das  Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 16.01.2012 – Az.: S 25 U 216/11, nicht rechtskräftig – entschieden, dass das Unfallereignis wesentliche Bedingung für den Tod des Versicherten gewesen sei, und der Ehefrau als Klägerin die beantragten Leistungen zugesprochen.

Interessant ist die Begründung. Das Gericht wertete den vorliegenden Fall, in dem die Angehörigen des Versicherten die Magensonde abtrennten und damit die Nahrungszufuhr einstellten, wie einen Fall von Selbsttötung.
In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine beruflich als ausweglos erkannte Situation bei dem Betroffenen kausal (ursächlich) für eine Selbsttötung sein könne. Auch könne eine Selbsttötung mittelbare Folge eines Arbeitsunfalls sein, wenn beispielsweise qualvolle Schmerzen den Entschluss zur Selbsttötung mitbedingt hätten.


Das Durchtrennen der Magensonde im vorliegenden Fall habe dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entsprochen. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – BGH Urteil vom 25.06.2010 – Az. 2 StR 454/09 – sei eine Sternehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beendigen einer begonnenen medizinischen Behandlung nur dann gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder vermuteten Patientenwillen entspräche,

§ 1901 a BGB, und dazu diene, einem ohne Behandlung zum Tod führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.

Hieraus folgt nach Ansicht des Sozialgerichts Berlin, dass die Sterbehilfe durch einen Behandlungsabbruch von ihrer Wertung her einer Selbsttötung entspreche, denn wäre der Betroffene in der Lage, seinem eigenen Willen entsprechend zu handeln, so würde er die lebensverlängernde Maßnahme selbst einstellen.
Grund für den Behandlungsabbruch sei der Gesundheitszustand des Versicherten, der keine Verbesserung habe erkennen lassen und der auf den Arbeitsunfall im Jahr 2006 zurückgehe. Der Unfall habe damit eine wesentliche Ursache für den Tod des Versicherten gesetzt. Es sei dabei unschädlich, dass eine andere Ursache – Behandlungsabbruch – hinzugetreten sei. Dadurch würde der Kausalzusammenhang mit dem Unfall als erster Ursache nicht unterbrochen.

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