Trotz Aufhebungsvertrag kann Anspruch auf Arbeitslosengeld ohne Sperre bestehen

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Die von der Bundesagentur für Arbeit verhängte Sperre für den Bezug von Arbeitslosengeld wegen Arbeitsaufgabe ist unwirksam, wenn der Arbeitslose sich auf einen wichtigen Grund berufen kann, aus dem er beispielweise einem Aufhebungsvertrag zugestimmt hat. Ein solcher wichtiger Grund kann darin liegen, dass der Arbeitslose sich an die arbeitsrechtlichen Regeln zum Verhalten bei einer Kündigung gehalten hat. Das hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 16.02.2011, Aktenzeichen L 3 AL 712/09, entschieden.

Wer arbeitslos ist, bekommt Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit. Wer allerdings selbst Schuld an seiner Arbeitslosigkeit ist, wird abgestraft und erhält bis zu 12 Wochen lang kein Arbeitslosengeld. So sieht es § 144 SGB III vor: Hat ein Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass eine Kündigung provoziert und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.

Hier zeigt die tägliche Praxis, dass die Arbeitsagenturen durchaus streng sind und mitunter jedes Verhalten, das nicht die Kündigung angreift, als Arbeitsaufgabe werten.

Denn ein sogenannter Abwicklungsvertrag stellt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes grundsätzlich eine Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer dar. Der Arbeitnehmer löst das Beschäftigungsverhältnis, wenn er einen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Vertrag schließt (BSG, Urteil vom 17.10.2007 - Aktenzeichen B 11a AL 51/06 R).

Auch eine Vereinbarung, die nach einer Arbeitgeberkündigung getroffen wurde und die die Kündigung bestätigt oder die Kündigung regelt und absichert, ist eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses (BSG, Urteil vom 18.12.2003 - Aktenzeichen B 11 AL 35/03 R).

Hinzu kommt, dass auch ein vor einem Arbeitsgericht getroffener arbeitsgerichtlicher Vergleich in einem Kündigungsschutzprozess grundsätzlich als Lösung des Arbeitsverhältnisses behandelt wird (BSG, Urteil vom 17.10.2007 - Aktenzeichen B 11a AL 51/06 R).

Am Rande sei bemerkt, dass die örtlichen Arbeitsagenturen durchaus arbeitsgerichtliche Vergleiche akzeptieren, ohne eine Sperre zu verhängen. Jedoch ist es risikobehaftet, darauf zu vertrauen. Und auch die vorherige Zusage des örtlichen Sachbearbeiters dürfte rechtlich wohl nicht durchsetzbar sein.

Allerdings hat die Agentur für Arbeit in jedem Fall die gesetzliche Einschränkung zu beachten, wonach Arbeitsaufgabe bei dem Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht zu einer Sperre führen darf. Ein wichtiger Grund ist nach Auffassung des Bundessozialgerichtes gegeben, wenn Umstände vorliegen, unter denen nach verständiger Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, weil sonst seine Interessen in unbilliger Weise geschädigt werden.

Diese schwer fassbare Formel ist in der Praxis von den Sozialgerichten immer wieder mit Leben gefüllt worden. Es gibt eine beinahe unüberschaubare Anzahl von sozialgerichtlichen Urteilen, die fallbezogen darstellen, was ein wichtiger Grund ist.

Das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg fügt eine weitere weitreichende Entscheidung hinzu: Einem nach 40 Jahren Betriebszugehörigkeit nicht mehr ordentlich kündbaren Angestellten steht auch dann Arbeitslosengeld ohne Eintritt einer Sperrzeit zu, wenn sie mit dem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung abgeschlossen hat. Im zugrunde liegenden Fall hatte die Klägerin nach beinahe 40-jähriger Betriebszugehörigkeit im Mai 2004 mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag zum 30. November 2005 unter Zahlung einer Abfindung in Höhe von 47.000 Euro abgeschlossen, weil im Wege betrieblicher Umstrukturierungsmaßnahmen ihr Arbeitsplatz wegfallen sollte.

Die beklagte Arbeitsagentur hatte deshalb den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen festgestellt, denn die Klägerin hätte das Beschäftigungsverhältnis fortsetzen und eine Kündigung des Arbeitgebers abwarten müssen.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg sah allerdings eine Sperrzeit nicht als berechtigt an und führten zur Begründung aus, dass die Klägerin zwar mit Abschluss des Aufhebungsvertrags sehenden Auges ihre Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe. Dieses Verhalten sei jedoch nicht vorwerfbar, da sie dafür einen wichtigen Grund gehabt habe. Die Kündigung bzw. die Modalitäten des Aufhebungsvertrags hätten die Kriterien des § 1 a Kündigungsschutzgesetz beachtet. Insbesondere sei die dort vorgesehene Abfindungshöhe von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr nicht überschritten worden. Ob die Kündigung arbeitsrechtlich rechtmäßiger Weise hätte erfolgen dürfen, sei daher in Übereinstimmung mit der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr zu überprüfen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin und ihr ehemaliger Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag so gefasst hätten, um zulasten der Versichertengemeinschaft eine Leistungsberechtigung der Klägerin zu manipulieren, seien nicht ersichtlich.

Weitreichend ist diese Rechtsprechung, weil damit der Grundsatz, ein Abwicklungsvergleich sei stets eine pflichtwidrige Lösung des Arbeitsverhältnisses, der gesetzlichen Vorschrift des § 1a KSchG angepasst wird. Diese Norm enthält Regeln für die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen außerhalb des Arbeitsgerichtes und spricht dem Arbeitnehmer in bestimmten Fällen die Regelabfindung zu, wenn er keine Kündigungsschutzklage erhebt. Sozialrechtlich ist es also nur konsequent, dieses gesetzliche Prozedere auch im Bereich der Sperrfrist zu akzeptieren.