Aktuelles zur strafrechtlichen Rehabilitierung von DDR-Heimkindern

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Änderungen des Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG), Entscheidung des LG Frankfurt/Oder zum Durchgangsheim Bad Freienwalde

Ich möchte Sie hier auf aktuelle Entwicklungen bei der Frage der strafrechtlichen Rehabilitierung von Heimkindern aufmerksam machen. Zum einen auf die Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, die am 29. November 2019 in Kraft getreten ist. Zum anderen auf eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt/O vom 29. Juli 2019, betreffend das Durchgangsheim Bad Freienwalde.

I. Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

Am 29. November 2019 ist das „Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes“ in Kraft getreten. Die wichtigsten Punkte dieser Änderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Diana Blum
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  • Eine Frist für die Stellung des Rehabilitierungsantrags gibt es nicht mehr
  • Die monatliche Opferrente wird auf 330 € angehoben
  • Die Opferrente wird bereits ab einem Heimaufenthalt von 90 Tagen (statt bisher 180 Tagen) gewährt
  • Bei Heimkindern, die wegen rechtsstaatswidriger Haft ihrer Eltern in ein Heim gekommen sind, wird die Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung gesetzlich vermutet. Auch bei Aufenthalten in Spezialheimen (Spezialkinderheime, Jugendwerkhöfe, Sonderkombinate) wird die Rechtsstaatswidrigkeit nun vermutet.
  • Betroffene, deren Rehabilitierungsantrag bereits rechtskräftig abgelehnt wurde, können - von ganz engen Ausnahmen abgesehen - keinen erneuten Antrag stellen.

Im Einzelnen:

1. Die Frist für die Stellung des Antrags (Stichtag war bislang der 31. Dezember 2019) wurde abgeschafft.

2. Die Gewährung einer Opferrente war bislang nur dann möglich, wenn die Unterbringung mindestens 180 Tage angedauert hat. Gerade bei ehemaligen Insassen des GJWH Torgau war das häufig nicht der Fall, weil Aufenthalte dort in der Regel auf 6 Monate beschränkt waren. Nach der Neufassung des Gesetzes (§ 17a Abs. 1 StrRehaG) ist nur noch ein Mindestaufenthalt von 90 Tagen die Grundvoraussetzung (die weiteren Voraussetzungen - insbesondere die wirtschaftliche Bedürftigkeit - sind nach wie vor erforderlich). Betroffene, die bislang keinen Anspruch hatten, weil sie unter den 180 Tagen blieben, können nun einen neuen Antrag stellen.

Außerdem wurde die Höhe der Opferrente auf 330 EUR monatlich angehoben.

3. An den bisherigen Rehabilitierungsgründen des § 2 Abs. 1 StrRehaG (politische Verfolgung, sachfremder Zweck, grobes Missverhältnis zwischen Einweisungsanlass und Rechtsfolgen der Einweisung, Rechtswidrigkeit aus sonstigen Gründen) hat sich nichts geändert, diese gelten nach wie vor.

Der Gesetzgeber hat jedoch in § 10 StRehaG gesetzliche Vermutungen für bestimmte Konstellationen vorgesehen:

Gemäß § 10 Abs. 3 S. 2 StrRehaG wird bei Betroffenen, die im Zusammenhang mit rechtsstaatswidriger Haft eines - deswegen bereits rehabilitierten - Elternteils in ein Heim kamen (z.B. nach einem Republikfluchtversuch der Eltern), die Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung vermutet. Das bedeutet, dass die Betroffenen rehabilitiert werden, sofern sich nicht im Rehabilitierungsverfahren herausstellt, dass die Heimeinweisung auch aus rechtsstaatlicher Sicht gerechtfertigt war (z.B. weil die Eltern mit der Erziehung vollkommen überfordert waren oder eine "Verwahrlosung" des Kindes drohte). Insoweit bringt das Gesetz eine Verbesserung gegenüber der jetzigen Rechtslage.

Auch für Heimkinder, die in Spezialheimen oder vergleichbaren Einrichtungen (gemeint sind wohl Durchgangsheime, Spezialkinderheime, Jugendwerkhöfe) waren, hat der Gesetzgeber ebenfalls eine neue Vermutung in das Gesetz aufgenommen (§ 10 Abs. 3 S. 1 StRehaG). Es wird vermutet, dass eine solche Einweisung rechtsstaatswidrig war. Diese Regelung könnte insbesondere Betroffenen in den Bundesländern mit konservativerer Rechtsprechung (namentlich Berlin, Sachsen, Thüringen, teils auch Mecklenburg-Vorpommern) zugutekommen. In diesen Bundesländern gehen die Rehabilitierungsgerichte bislang davon aus, dass (allein) die Lebensbedingungen in den Spezialheimen nicht zur Rehabilitierung führen, in der Regel also nur bei Hinzutreten weiterer Gründe rehabilitiert werden.

Allerdings ist diese Gesetzesänderung nun aber auch kein Garant für eine erfolgreiche Rehabilitierungsentscheidung. Die vom Gesetz vorgesehene Vermutung kann im Rehabilitierungsverfahren widerlegt werden. Wenn also das Gericht annimmt, die Einweisung sei nicht rechtsstaatswidrig, sondern z.B. wegen des Verhaltens des Betroffenen gerechtfertigt gewesen oder die Einweisung in den Jugendwerkhof habe der Berufsausbildung des Betroffenen gedient, muss das Gericht nicht rehabilitieren. In den genannten Bundesländern werden solche Argumente häufig zur Abweisung von Anträgen herangezogen. Es ist also möglich, dass sich dort an den Erfolgsaussichten gar nichts ändert; dies bleibt abzuwarten.

Unklar ist, welche Einrichtungen mit dem Begriff „Spezialheime und vergleichbare Einrichtungen gemeint sind. Mit Sicherheit wohl die Spezialkinderheime und die Jugendwerkhöfe. Streiten könnte man sich aber über die Durchgangsheime. Nach der Gesetzesbegründung sollen hier Durchgangsheime in Betracht kommen. Es ist allerdings fraglich, ob in Durchgangsheimen eine "zwangsweise Umerziehung" erfolgte. Die einschlägige DDR-Rechtsvorschrift spricht nur im Zusammenhang mit Spezialheimen von "Umerziehung". Auch die Frage, welche Einrichtungen als vergleichbar gelten, müssen daher die Gerichte entscheiden. Eine uneinheitliche Rechtsanwendung ist hier vorprogrammiert.

4. Betroffene, deren Rehabilitierungsantrag in der Vergangenheit bereits rechtskräftig abgelehnt wurde, können von der Neureglung leider nicht profitieren bzw. können keinen neuen Antrag stellen (die Ausführungen unter 2. gelten auch hier). In Betracht kommt allenfalls ein Antrag auf Wiederaufnahme (dazu weiter unten).

5. Heimkinder, die im Zusammenhang mit rechtsstaatswidriger Haft eines - deswegen bereits rehabilitierten - Elternteils in ein Heim kamen und deren Rehabilitierungsantrag abgelehnt wurde, können aber bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit einen Antrag auf Unterstützungsleistungen bei der Stiftung für politische Häftlinge in Bonn beantragen. Der Antrag ist jährlich zu wiederholen. Welche Leistungen dort gewährt werden und wie hoch diese sind, kann ich nicht sagen; dazu gibt es keine öffentlichen Informationen. Diesbezüglich empfehle ich die Inanspruchnahme einer Beratung beim jeweiligen Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Das Antragsformular finden Sie hier: https://aufarbeitung.brandenburg.de/wp-content/uploads/2019/01/Antrag-Stiftung-H%C3%A4ftlingshilfe.pdf)

6. Neu eingeführt wurde auch eine Einmalzahlung in Höhe von 1.500 EUR für Opfer von Zersetzungsmaßnahmen. Voraussetzung ist, dass die Betroffenen nach § 1a VwRehaG rehabilitiert worden sind bzw. rehabilitiert werden (ggf. zusätzlich zur strafrechtlichen Rehabilitierung). Rehabilitierungen nach § 1 VwRehaG begründen keinen Anspruch auf die Einmalzahlung. Nach der Gesetzesbegründung sind Zersetzungsmaßnahmen "diejenigen Maßnahmen mit dem Ziel der Zersetzung, mit denen auf die Einstellung des Betroffenen systematisch und zielgerichtet eingewirkt wurde, damit dieser nach Sicht der SED-Diktatur unerwünschte Positionen oder Betätigungen aufgibt." Erfasst sind demnach nicht nur Zersetzungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Operativen Vorgängen (OV) des Ministeriums für Staatssicherheit.

Wegen der vorgenannten Definition kommt in Betracht, dass auch ehemalige Heimkinder aus Spezial- und Durchgangsheimen einen Anspruch auf die Einmalzahlung haben, sofern sie nach § 1a VwRehaG rehabilitiert wurden bzw. noch werden. Das ist aber ohnehin nur für solche Heimkinder interessant, die nicht strafrechtlich rehabilitiert wurden oder werden (siehe oben 3), weil die Einmalzahlung ausgeschlossen ist, wenn der Betroffene bereits andere Ausgleichsleistungen (wie etwa die Kapitalentschädigung) erhalten hat. Auch ob sich die Rehabilitierungsbehörden überhaupt auf diese Argumentation einlassen, vermag ich nicht abzusehen.

II. Entscheidung zum Durchgangsheim Bad Freienwalde

Mediale Aufmerksamkeit hat auch die - rechtskräftige - Entscheidung des Landgerichts Frankfurt/O vom 29. Juli 2019, betreffend das Durchgangsheim Bad Freienwalde, erregt. Der Beschluss ist schon deshalb sehr interessant und lesenswert, weil er sehr ausführlich den aktuellen Forschungsstand zu den Zuständen in Durchgangsheimen darstellt. Erfreulicherweise setzt das Gericht seine heimkinderfreundliche Rechtsprechung fort. Die wichtigsten Aussagen dieses Beschlusses sind:

1. „die grundsätzliche Neubewertung der Verhältnisse in den Durchgangsheimen, Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR betrachtet die Kammer als neue Tatsache, die eine Wiederaufnahme eines früheren Verfahrens rechtfertigt“.

Übersetzt heißt das: Wessen Rehabilitierungsantrag (hinsichtlich eines Spezialheims) schon vor längerer Zeit abgelehnt wurde, könnte jetzt einen neuen Versuch, also einen Wiederaufnahmeantrag wagen.

2. Die Zustände in den Durchgangsheimen, Spezialheimen und Jugendwerkhöfen waren „generell nicht geeignet dem Kindeswohl zu dienen, sondern maßgeblich darauf ausgerichtet, die Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt.“

Es ist also - jedenfalls für das LG Frankfurt/O - grundsätzlich davon auszugehen, dass eine solche Einweisung rechtsstaatswidrig war. Davon kann nur im Einzelfall abgesehen werden, wenn im Einzelfall festgestellt wird, dass „bezüglich einer Einrichtung aufgrund der festgestellten Umstände der Unterbringung keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in dieser Einrichtung die Zerstörung der Persönlichkeit und Missachtung der Individualität der Betroffenen bezweckt waren“. Der Inhalt dieser Entscheidung geht also noch über das hinaus, was Inhalt der neuen Gesetzesfassung ist. Während nämlich nach der Neufassung des Gesetzes eine Ablehnung des Antrags auch dann möglich ist, wenn z.B. das Verhalt den Betroffenen die Unterbringung rechtfertigte, muss hier festgestellt werden, dass es sich (vereinfacht gesagt) bei dem Heim hinsichtlich der dortigen Bedingungen um eine positive Ausnahme handelte.

3. Schulbummelei ist schon deshalb ein sachfremder Grund bei der Einweisung in ein Durchgangsheim, weil den Kindern und Jugendlichen dort gerade kein angemessener Schulunterricht angeboten wurde, sondern die praktische Arbeit im Vordergrund stand.

Eine besonders lange Unterbringung im Durchgangsheim (hier: 7,5 Monate) wirkt sich erschwerend aus

Die Entscheidung im Volltext finden Sie hier:

http://www.blum-strafverteidigung.de/wp-content/uploads/41-BRH-41-18-LG-Frankfurt.pdf

Grundsätzlich sind andere Gerichte nicht an die Feststellungen des Landgerichts Frankfurt/Oder gebunden. Sollte diese Rechtsprechung aber so auch von einem Oberlandesgericht übernommen werden, so müssen andere Oberlandesgerichte, die hiervon abweichen wollen, die Sache dem Bundesgerichtshof vorlegen. Es bleibt also spannend!

Vielen Dank für Ihr Interesse!
Rechtsanwältin Diana Blum
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