Die vorzeitige Entlassung Teil 1

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Diesen Artikel habe ich für die Gefangenenzeitung "der lichtblick", verfasst. Bei dem lichtblick handelt es sich um die weltweit auflagenstärkste Gefangenenzeitung, unzensiert und presserechtlich verantwortet von Gefangenen der JVA Berlin-Tegel. Seit Anfang 2017 schreibe ich regelmäßig Artikel rund um die Themen Strafvollzug und Strafvollstreckung. 

Den Artikel habe ich inhaltlich – so auch im Hinblick auf die entsprechende Anrede der Gefangenen respektive der Leser – unverändert übernommen.

I. Einleitung

Die vorzeitige Entlassung, korrekt bezeichnet als die Aussetzung des Strafrests bei zeitiger Freiheitsstrafe (§ 57 StGB) sowie die Aussetzung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 57 a StGB) bedeutet, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unter den jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Welche Voraussetzungen das sind und wie sich das Verfahren rund um die Aussetzung gestaltet, soll in diesem Artikel dargestellt werden. In Anbetracht des Umfangs gliedert sich der Artikel dabei in zwei Teile. In Teil 1 wird die Aussetzung der Vollstreckung bei zeitiger Freiheitsstrafe sowie bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe dargestellt. Der 2. Teil befasst sich sodann mit der Aussetzung der Vollstreckung im Maßregelvollzug sowie in der Sicherungsverwahrung. Darüber hinaus soll, auch wenn es sich dabei nicht um eine Aussetzung im vorgenannten Sinne handelt, das Absehen von der Vollstreckung bei Ausweisung gemäß § 456 a StPO behandelt werden.

II. Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests bei zeitiger Freiheitsstrafe

Eine solche Aussetzung kann bei zeitigen Freiheitsstrafen entweder zum Halbstrafenzeitpunkt, zum Zweidrittelzeitpunkt oder der Reststrafe erfolgen.

1. Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt

Eine Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt setzt voraus, dass Ihr entweder erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, diese zwei Jahre nicht übersteigt und diese mindestens sechs Monate vollstreckt wurde oder die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen. Im Unterschied zu einer Aussetzung zum Zweidrittelzeitpunkt, die bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend zu einer Aussetzung führt, steht die Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung kann, muss aber nicht erfolgen. Im erstgenannten Fall – Erstverbüßer – kann die StVK die Vollstreckung dann aussetzen, wenn bei Euch eine positive Sozialprognose vorliegt. Dabei spricht bei erstmaliger Verbüßung einer Freiheitsstrafe eine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt. Hinsichtlich der geforderten Prognose sei – da diese derjenigen bei einer Aussetzung zum Zweidrittelzeitpunkt entspricht – auf die entsprechenden Ausführungen unter Ziffer 2. verwiesen.

Zu beachten ist, dass das Erstverbüßerprivileg auch für diejenigen Verurteilten gilt, bei denen die Summe unmittelbar nacheinander zu vollstreckender Freiheitsstrafen zwei Jahre übersteigt. Denn entscheidend ist, dass die einzelnen Strafen zwei Jahre nicht übersteigen dürfen. Die Erstverbüßerregelung gilt aber nicht bei zeitlicher Unterbrechung der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen und auch nicht bei Vollstreckungen nach Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit. Im Ergebnis bedeutet dies demnach, dass Ihr Euch zur Vollstreckung mehrerer Strafen ohne Unterbrechung erstmals im Vollzug befinden müsst, wobei eine vorherige Verbüßung von Untersuchungshaft – im selben, aber auch in anderen Verfahren – einer Strafaussetzung nicht entgegensteht. Das heißt, dass auch bei einem Verurteilten, der bereits Untersuchungshaft erlitten hat, von einem Erstverbüßer auszugehen ist.

Neben dem Erstverbüßerprivileg kann die Vollstreckung auch dann zum Halbstrafenzeitpunkt ausgesetzt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die dies rechtfertigen. Diese besonderen Umstände müssen über die ebenfalls vorausgesetzte günstige Sozialprognose hinausgehen und ergeben sich insbesondere aus der Persönlichkeit und der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug. Auch kann von erheblichem Gewicht sein, dass es sich um eine Erstverbüßung handelt. Dies klingt im ersten Moment merkwürdig, da eine Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt bei Erstverbüßern sowieso von Amts wegen geprüft wird. Allerdings – das ist der Unterschied zum Erstverbüßerprivileg – kann die Vollstreckung aufgrund besonderer Umstände auch dann zum Halbstrafenzeitpunkt ausgesetzt werden, wenn die Freiheitsstrafen zwei Jahre übersteigen. Seid Ihr demnach Erstverbüßer und übersteigt Eure Freiheitsstrafe zwei Jahre, kann eine Aussetzung zwar nicht im Rahmen des Erstverbüßerprivilegs, jedoch aufgrund besonderer Umstände zum Halbstrafenzeitpunkt ausgesetzt werden. Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Fragen (Zuständigkeit Gericht, Anhörung der Beteiligten etc.) wird auf die Ausführungen unter Ziffer 2. Bezug genommen.

2. Aussetzung zum Zweidrittelzeitpunkt

Das Gericht setzt gemäß § 57 Abs. 1 S. 1, 2 StGB die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und die verurteilte Person einwilligt.

Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind. Die erste (zwei Drittel verbüßt) sowie die letzte (Einwilligung des Verurteilten) Voraussetzung dürften sich von selbst erklären. Genauer betrachtet werden soll die zweite Voraussetzung, auch als sogenannte „günstige Prognose“ bekannt. Um eine Prognose treffen zu können, muss sich der Strafvollstreckungsrichter ein möglichst umfassendes Bild von Euch verschaffen. Dabei gilt von Verfassungswegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Pauschale Aussagen, wann eine Strafaussetzung in Betracht kommt, sind nicht möglich. Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Umstände des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB. Ganz entscheidend ist, dass eine Aussetzung des Strafrests keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraussetzt. Vielmehr reicht es aus, wenn eine naheliegende Chance für ein positives Ergebnis besteht. Dabei sind je nach Schwere möglicher neuer Straftaten unterschiedliche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung zu stellen. Je gewichtiger die Rechtsgüter sind, die bei einem möglichen Rückfall verletzt werden könnten, umso höher müssen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung sein. Im Hinblick auf vorausgegangene Taten, welche besonders gefährlich waren, kann eine Aussetzung in der Regel weniger leicht verantwortet werden. Allerdings nimmt nach langer Dauer des Vollzugs die Bedeutung der Tat gegenüber Erkenntnissen über das Erreichen des Vollzugsziels, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, ab. Auch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen; je länger der Freiheitsentzug insgesamt dauert, desto höher sind die Voraussetzungen für seine Verhältnismäßigkeit.

Dabei treffen die aus Eurem Anspruch auf Achtung Eurer Menschenwürde, Eurer freien Persönlichkeit sowie Eurem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht insbesondere die Prognoseentscheidung, was bedeutet, dass das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt. Darüber hinaus erweitert sich für das Gericht die Basis der prognostischen Beurteilung, wenn Euch Vollzugslockerungen gewährt wurden. Denn Euer (beanstandungsfreies) Verhalten während der Lockerungen stellt sich als „Verhalten im Vollzug“ im Sinne des § 57 Abs. 1 S. 2 StGB dar. Durch die gewährten Lockerungen sowie Eurem (beanstandungsfreien) Verhalten während diesen, werden die Chancen, dass die für Euch zuständige StVK zu einer zutreffenden Sozialprognose gelangen wird, durch die vorherige Gewährung von Vollzugslockerungen verbessert und durch deren Versagung verschlechtert. Weitere prognostisch relevanten Gründe, die für oder gegen eine Strafaussetzung sprechen, können zum Beispiel sein, ob Ihr – sofern erforderlich – Eure Straftat aufgearbeitet habe, an Gruppen (soziales Kompetenztraining, Antiaggressionstraining, Suchtaufarbeitung etc.) teilgenommen habt, psychologische Gespräche geführt habt oder aber Euch schulisch oder beruflich weitergebildet habt. Ihr seht, dass es zahlreiche Gründe gibt, die letztendlich eine positive oder negative Sozialprognose begründen und zur Strafaussetzung oder deren Ablehnung führen können.

3. Aussetzung der Reststrafe

Sollte die Vollstreckung des Strafrests weder zum Halbstrafen- noch zum Zweidrittelzeitpunkt ausgesetzt worden sein, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Aussetzung der Reststrafe, also die Strafe in dem Zeitraum vom Zweidrittelzeitpunkt bis zum Terminende, zu stellen. Dies ist grundsätzlich jederzeit ab dem Zweidrittelzeitpunkt möglich, macht aber keinen Sinn, wenn sich Eure Prognose seitdem nicht geändert hat. Sieht es die StVK also als erforderlich für eine günstige Prognose an, dass Ihr beispielsweise eine Tataufarbeitung machen müsst oder dass Ihr Euch in Vollzugslockerungen bewährt und ist dies nicht bis zu Eurer Antragstellung erfolgt, so hat sich für die JVA, die Staatsanwaltschaft sowie die StVK seit der letzten Anhörung nichts prognostisch Relevantes geändert. Dann aber ist die (ablehnende) Entscheidung der StVK schon vorprogrammiert. Zusammengefasst bedeutet dies also, dass Ihr nach einem ablehnenden Beschluss zum Zweidrittelzeitpunkt nicht verzweifeln müsst, weil Ihr glaubt, dass jetzt nur noch eine Entlassung zum Terminende (Endstrafe) möglich ist. Vielmehr solltet Ihr die Gründe, weswegen die StVK noch keiner Strafaussetzung zugestimmt hat, beherzigen und – sofern möglich – versuchen, die „entlassungshindernden“ Defizite „abzuarbeiten“. Erst wenn dies erfolgt ist, besteht eine reelle Chance, dass Eure Reststrafe ausgesetzt wird.

4. Sperrfrist

Wie zuvor beschrieben, kann jederzeit ab dem Zweidrittelzeitpunkt, wenn der Strafrest nicht ausgesetzt worden ist, ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe gestellt werden. Mit „jederzeit“ ist aber nicht „ständig“ gemeint. Ihr könnt also nicht nach Belieben alle paar Wochen einen solchen Antrag stellen. Vielmehr ist mit „jederzeit“ der zeitliche Rahmengemeint, innerhalb dessen der Antrag gestellt werden kann. Wie bereits ausgeführt, ist dies die Zeitspanne zwischen Eurem Zweidrittelzeitpunkt und dem Terminende.

Wichtig zu wissen ist, dass das Gericht die Möglichkeit hat, eine Sperrfrist festzusetzen, innerhalb derer Anträge auf Aussetzung des Strafrests unzulässig sind. Diese Frist darf höchstens sechs Monate betragen. Sinn und Zweck dieser Sperrfrist ist es, der StVK die Möglichkeit zu geben, nutzlose und die Arbeit der StVK belastende Wiederholungsanträge zu verhindern, um so auch nach Ablehnung einer Strafaussetzung den weiteren ungestörten und kontinuierlichen Vollzug der Strafe zu gewährleisten. Da die StVK eine Sperrfrist festlegen kann, aber nicht zwingend muss, hat diese bei ihrer Ermessensentscheidung neben dem zuvor genannten Grund auch Eure Belange zu berücksichtigen. Denn schließlich ist es Euch versagt, während des Laufs der Sperrfrist einen neuen Aussetzungsantrag zu stellen bzw. wird ein solcher Antrag, der dennoch gestellt wird, als unzulässig abgewiesen. Für die Entscheidung der StVK bedeutet dies, dass eine Frist nur für die Zeit festgesetzt werden darf, in der eine günstige Veränderung der Täterprognose nicht zu erwarten ist. Darüber hinaus muss bei der Bemessung der Sperrfrist die noch verbleibende Strafzeit angemessen berücksichtigt werden. Bedenklich kann zum Beispiel sein, dass eine Sperrfrist von sechs Monaten – und damit der Höchstfrist – festgesetzt wird, obwohl Ihr zum ersten Mal während der aktuellen Vollstreckung die Aussetzung des Strafrests beantragt habt.

Die festgesetzte Sperrfrist ist für die zuständige StVK bindend. Ein Fortfall dieser Bindungswirkung wird nur für die Fälle angenommen, in denen sich die der Anordnung dieser Sperrfrist zugrunde liegenden Verhältnisse grundlegend geändert haben. Wird während des Laufs der festgesetzten Sperrfrist eine andere StVK für Euch zuständig, zum Beispiel, weil Ihr in eine andere JVA verlegt wurdet, ist diese StVK nicht an die Sperrfrist der ursprünglichen StVK gebunden, so dass in diesen Fällen grundsätzlich ein neuer Antrag auf Aussetzung der Reststrafe noch während der „laufenden Sperrzeit“ gestellt werden kann. 

5. Verfahren

Allen Verfahren im Rahmen der Aussetzung des Strafrests bei zeitigen Freiheitsstrafen ist gleich, dass das zuständige Gericht diejenige StVK ist, in deren Bezirk die JVA liegt, in der Ihr aufgenommen seid. Dieses entscheidet entweder auf Antrag oder von Amts wegen, ob die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Von Amts wegen, was bedeutet, dass die StVK die Prüfung von sich aus ohne vorherigen Antrag vornimmt, muss entschieden werden, wenn ein Erstverbüßer die Hälfte der zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe verbüßt hat und wenn der Verurteilte, der nicht zum ersten Mal inhaftiert ist, demnächst Zweidrittel verbüßt haben wird. Die Prüfung von Amts wegen unterbleibt in den Fällen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB (Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt wegen Vorliegens besonderer Umstände) oder wenn der Verurteilte nicht die erforderliche Einwilligung in die Strafaussetzung erteilt.

Unabhängig von der Prüfung von Amts wegen könnt Ihr auch einen Antrag auf Aussetzung des Strafrests bei der zuständigen StVK stellen, über den diese sodann zu entscheiden hat. Da es im Rahmen der Prüfung erforderlich ist, dass sowohl Eure JVA als auch die zuständige Staatsanwaltschaft angehört werden, holt die StVK zunächst die Stellungnahme Eurer JVA ein. In dieser berichtet die JVA über Euren Vollzugsverlauf, wobei die Beobachtungen und Feststellungen aller am Behandlungsvollzug mitwirkenden Personen (Bedienstete, Angehörige des Werkdienstes, Psychologen, Sozialdienst) als Grundlage dienen, gibt eine Einschätzung zu Eurer Sozialprognose ab und stimmt schlussendlich einer vorzeitigen Entlassung zu bzw. nicht zu. Sodann wird die Stellungnahme der JVA der Staatsanwaltschaft vorgelegt, welche ihrerseits eine entsprechende Stellungnahme abgibt und einer vorzeitigen Entlassung zu- bzw. nicht zustimmt. Doch nicht nur Eure JVA und die Staatsanwaltschaft, sondern auch Ihr müsst durch die StVK angehört werden. Dies erfolgt im Rahmen der mündlichen Anhörung vor der StVK. Bei dieser soll sich die StVK einen persönlichen Eindruck von Euch verschaffen. Selbstverständlich habt Ihr das Recht, zu Eurer mündlichen Verhandlung Euren Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Eine mündliche Anhörung kann dann entfallen, wenn die StVK entsprechend der Stellungnahmen der JVA sowie der Staatsanwaltschaft ohnehin zu Euren Gunsten entscheiden will und auch entscheidet. Eine Anhörung kann allerdings auch dann unterbleiben, wenn Ihr Euren Antrag auf Aussetzung des Strafrests verfrüht gestellt habt, da der Entlassungszeitpunkt, ab welchem eine Entlassung überhaupt erst rechtlich zulässig ist, noch nicht erreicht war. Diese Zeitpunkte sind in § 454 Abs. 1 Nr. 2 a) und b) StPO festgelegt. Im gegenteiligen Falle – wenn Ihr kein Interesse an der Aussetzung des Strafrests habt und die Zustimmung dazu verweigert habt – unterbleibt die Anhörung. Dies gilt auch dann, wenn Ihr auf die mündliche Anhörung ausdrücklich verzichtet. Auch dann, wenn ein Aussetzungsantrag wiederholt (durch Euch) gestellt wurde, bedarf es keiner mündlichen Anhörung, wenn die letzte Anhörung noch nicht lange zurückliegt, der persönliche Eindruck noch fortwirkt und nicht der Ergänzung bedarf. Einen starren Zeitraum, wann eine solche letzte Anhörung zurückliegen darf, gibt es nicht. Denn schließlich können auch innerhalb von wenigen Monaten nach der letzten Anhörung neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte vorliegen und geltend gemacht werden. Dazu wird auf die Ausführungen in diesem Artikel unter den Ziffern 3. und 4. verwiesen.

Bei Straftaten, bei denen eine zeitige Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen der in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten Straftaten verhängt wurde, ist durch die StVK grundsätzlich ein schriftliches Prognosegutachten eines Sachverständigen einzuholen. Davon kann allerdings abgesehen werden, wenn die StVK noch nicht einmal erwägt, dass der Strafrest ausgesetzt werden soll. Anders herum kann auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass von Euch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr ausgeht oder wenn bereits Sachverständigengutachten jüngeren Datums vorliegen, welche als Grundlage dienen können. Sofern ein Gutachten eingeholt werden soll, entscheidet die StVK, welcher Sachverständige hinzugezogen werden soll. Allerdings habt Ihr ein Vorschlagsrecht, was bedeutet, dass Ihr der StVK einen Sachverständigen Eurer Wahl vorschlagen könnt. Das Gericht ist jedoch nicht an Euren Vorschlag gebunden und kann einen anderen Sachverständigen bestimmen. Zu beachten ist weiterhin, dass die Mitwirkung bei der Begutachtung nicht gegen Euren Willen erzwungen werden kann. Dann aber wird ein Gutachten nach Aktenlage erstattet, was sich aufgrund der Mitwirkungsverweigerung negativ auswirken könnte. Im Rahmen der Anhörung ist der Sachverständige sodann auch mündlich zu hören. Dabei ist Euch das Gutachten spätestens bei der Anhörung mitzuteilen, wobei Euch aber in der Regel das schriftliche Gutachten vorab per Post zugestellt wird. Von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen kann nur abgesehen werden, wenn Ihr selbst sowie Euer Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten. Bei der Prognoseentscheidung kann die StVK von den Wertungen des Sachverständigen abweichen, da die Entscheidung nicht vom Sachverständigen, sondern vom Gericht getroffen wird. So ist es möglich, dass trotz eines für Euch positiven Gutachtens die Strafaussetzung abgelehnt wird, weil das Gericht die Einschätzungen des Sachverständigen nicht geteilt und prognostisch relevante Umstände anders als der Sachverständige gewertet hat.

Die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung. Dieser Beschluss wird allen Verfahrensbeteiligten zugestellt. Sofern die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung befürwortet wurde, wird im Beschluss der Entlassungszeitpunkt kalendermäßig bestimmt. Weiter erfolgt die Festsetzung der Bewährungszeit und der Auflagen und Weisungen in dem Aussetzungsbeschluss. Sofern sich die Staatsanwaltschaft nicht mit dem Beschluss einverstanden erklärt, kann diese sofortige Beschwerde dagegen einlegen, über welche sodann das zuständige OLG entscheidet. Beschließt die StVK, dass der Strafrest nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, könnt Ihr dagegen im Wege der sofortigen Beschwerde vorgehen. Insoweit beträgt die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels eine Woche nach Zustellung des Beschlusses. Die sofortige Beschwerde muss dabei bei dem Gericht eingelegt werden, dessen Entscheidung angefochten wird, demnach bei Eurer zuständigen StVK. Das Rechtsmittel könnt Ihr – sofern Ihr keinen Verteidiger beauftragen wollt oder könnt – zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich unter Angabe von Aktenzeichen und Datum des Beschlusses einlegen. Erklärungen, die sich auf das Rechtsmittel beziehen, können zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abgegeben werden, in dessen Bezirk die JVA liegt, in der Ihr inhaftiert seid. Die sofortige Beschwerde wird sodann an das zuständige OLG weitergeleitet. Dieses holt eine Stellungnahme der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft, in welcher diese inhaltlich auf Eure Beschwerdebegründung Bezug nimmt, ein. Grundsätzlich wird Euch die Möglichkeit gegeben, Euch zu der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zu äußern, bevor das OLG über die sofortige Beschwerde entscheidet. Hilft es der sofortigen Beschwerde ab, wird die Sache an die StVK zur Entscheidung zurückverwiesen. Ist das OLG allerdings der Auffassung, dass die StVK die bedingte Entlassung zu Recht abgelehnt hat, weist es die sofortige Beschwerde als unbegründet zurück und der Beschluss der StVK wird rechtskräftig. Hinsichtlich Eurer Möglichkeiten nach Ablehnung des Strafrests verweise ich auf die vorstehenden Ausführungen unter Ziffer 3. und 4.

III. Aussetzung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe

Eine Aussetzung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe zur Bewährung setzt gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB voraus, dass fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind, nicht die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung gebietet und die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 StGB (siehe dazu unter Ziffer 2.) vorliegen.

1. „normales“ LL

Wurdet Ihr zu einem „normalen“ LL verurteilt, das heißt, wurde bei Euch nicht die besondere Schwere der Schuld festgestellt, kann die Strafe grundsätzlich nach Verbüßung von fünfzehn Jahren ausgesetzt werden. Das Verfahren bei der Aussetzung der Reststrafe (auch bei einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe, bei welcher es kein Terminende gibt, wird die Strafe nach Verbüßung von 15 Jahren als „Reststrafe“ bezeichnet) muss von Amts wegen eingeleitet werden, wenn Ihr demnächst 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt habt. Neben dem zeitlichen Ablauf ist weitere Voraussetzung, dass die Aussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Es muss somit eine günstige Prognose getroffen werden, wobei die Kriterien, die auch bei der Frage der Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Anwendung gelangen, heranzuziehen sind. Bei der Entscheidung sind also insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

Auch bei der Frage der Aussetzung des Strafrests bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe muss hinsichtlich möglicher zukünftiger Straftaten ggf. ein unvermeidliches Restrisiko eingegangen werden. Ob dieses vertretbar ist, ist aufgrund einer Gesamtabwägung aller entscheidungserheblichen Umstände zu entscheiden. Allgemein ist aber zu beachten, dass Euer Freiheitsgrundrecht gegenüber den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit mit der Dauer der Inhaftierung an Gewicht gewinnt. Besteht allerdings die Gefahr, dass Ihr nach der Entlassung schwere Gewalttaten begehen könnt, gehen die Zweifel an einer günstigen Prognose zu Euren Lasten.

Kommt die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe für die StVK in Betracht, muss zur Beurteilung einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten zwingend ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Solltet Ihr Euch weigern, an der Begutachtung mitzuwirken, dann kommt eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht. Wird ein Gutachten eingeholt, so entspricht der weitere Verlauf des Aussetzungsverfahrens – auch im Hinblick auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde – demjenigen des Aussetzungsverfahrens einer zeitigen Freiheitsstrafe. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Ausführungen unter Ziffer II. 5. verwiesen.

2. LL mit besonderer Schwere der Schuld

Anders als bei einem „normalen“ LL, bei dem der Strafrest frühestens zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn 15 Jahre der Strafe verbüßt sind, gestaltet sich der Fall, wenn die besondere Schwere der Schuld in Eurem Urteil festgestellt wurde und diese die weitere Vollstreckung gebietet. Wurde bei Euch im Urteil durch das erkennende Gericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt, entscheidet die für Euch zuständige StVK, wie lange Eure Mindestverbüßungsdauer letztendlich ist. Diese hat von Amts wegen die Voraussetzungen einer Strafaussetzung frühzeitig – spätestens nach dreizehn Jahren – zu prüfen und eine Mindestverbüßungsdauer festzusetzen.

Dabei wird im Wege einer Gesamtwürdigung unter Bindung an die Feststellungen des Gerichts, welches Euch verurteilt hat, geprüft, ob die Schuldschwere mit Rücksicht auf die Schutzaufgabe des Strafrechts derzeit die weitere Vollstreckung noch gebietet, Eure Strafe also nicht vor Ablauf von beispielsweise 17, 20 oder 23 Jahren auszusetzen ist. Nach Ablauf der festgesetzten Mindestverbüßungsdauer erfolgt nicht – anders als bei zeitigen Freiheitsstrafen – automatisch die Entlassung. Vielmehr wird nach Ablauf der Mindestverbüßungsdauer von der StVK geprüft, ob die weitere Vollstreckung geboten ist oder ob die Strafe ausgesetzt werden kann. Entscheidend ist, ob die Aussetzung unter Berücksichtigung des allgemeinen Sicherheitsinteresses zu verantworten ist. Im Rahmen dieser Wertung werden unter anderem die Tat respektive das ergangene Urteil an sich berücksichtigt, Euer Verhalten im Vollzug und zu Eurer Tat, Eure Persönlichkeitsentwicklung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, Eure Lebensverhältnisse, die Wirkungen, die von der Aussetzung für Euch zu erwarten sind sowie Euer Gesundheitszustand. Dabei ist zu beachten, dass mit zunehmendem Alter des Verurteilten oder zunehmender Vollzugsdauer die Tatsituation und Umstände der Tat gegenüber dem Vollzugsverhalten und der augenblicklichen Lebenssituation des Verurteilten an prognostischer Bedeutung verlieren können.

Auch hier gilt, dass für den Fall, dass für die StVK die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einer fortbestehenden Gefährlichkeit einzuholen ist. Doch selbst wenn die StVK in den Fällen, in denen die lebenslange Freiheitsstrafe bereits einen längeren Zeitraum über die Mindestverbüßungsdauer hinaus vollstreckt wird, die Aussetzung des Strafrests nicht erwägt, kann ein neues Gutachten nicht allein mit der Begründung verweigert werden, dass das Gericht eine Strafrestaussetzung nicht beabsichtige. Vielmehr muss der Entscheidung auch in diesen Fällen ein zeitnahes wissenschaftlich fundiertes Gutachten der Prognoseentscheidung zugrunde gelegt werden, denn die Gefährlichkeitsprognose ist nach der gesetzlichen Regelung der zentrale Gesichtspunkt für die Aussetzungsentscheidung mit der Folge, dass schon die Frage der beabsichtigten Strafrestaussetzung regelmäßig nur auf der Grundlage eines hinreichend verlässlichen Gutachtens beantwortet werden kann. Dies gebieten die Grundsätze der bestmöglichen Sachaufklärung. Und auch in den Fällen, in denen die lebenslange Freiheitsstrafe noch nicht einen längeren Zeitraum über die Mindestverbüßungsdauer hinaus vollstreckt wird, ist eine regelmäßige Überprüfung auch deswegen notwendig, weil eine Gefährlichkeitsprognose nicht für unbeschränkte Zeit aussagekräftig ist. Dabei könnt sowohl Ihr als auch die Staatsanwaltschaft jederzeit die Aussetzung des Strafrests beantragen. Hinsichtlich einer möglichen Sperrfrist wird auf nachstehende Ausführungen unter Ziffer 3. verwiesen. In den Fällen, in denen Ihr über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus keinen Antrag auf Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe stellt und Anzeichen dafür bestehen, dass Ihr nicht in der Lage seid, selbst einen solchen Antrag zu stellen, ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, von Amts wegen zu prüfen, ob eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt und gegebenenfalls einen entsprechenden Antrag gemäß § 57 a StGB zu stellen. Wird ein Gutachten eingeholt, so entspricht der weitere Verlauf des Aussetzungsverfahrens – auch im Hinblick auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde – demjenigen des Aussetzungsverfahrens einer zeitigen Freiheitsstrafe. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Ausführungen unter Ziffer II. 5. verwiesen.

3. Sperrfrist

Die Sperrfrist, innerhalb derer Anträge auf Aussetzung des Strafrests unzulässig sind, beträgt anders als diejenige bei einer zeitigen Freiheitsstrafe zwei Jahre. Im Übrigen gelten die unter Ziffer II. 4. gemachten Ausführungen.

4. Pflichtverteidigung

Anders als in den Fällen, bei welchen die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe geprüft wird, ist Euch bei der Prüfung der Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe grundsätzlich ein Pflichtverteidiger beizuordnen, da die Entscheidung über die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe von solchem Gewicht ist, dass ein Verurteilter von Verfassungswegen eines Verteidigers bedarf, es sei denn, die Voraussetzungen einer Strafrestaussetzung liegen zweifelsfrei vor.