Gesundheitsfürsorge im Gefängnis Teil 2

Mehr zum Thema: Strafrecht, Maßregelvollzug, Gesundheitsfürsorge, Untergebrachte, Behandlung, Rechtsschutz
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Maßregelvollzug, §§ 63, 64 StGB

Diesen Artikel habe ich für die Gefangenenzeitung "der lichtblick", verfasst. Bei dem lichtblick handelt es sich um die weltweit auflagenstärkste Gefangenenzeitung, unzensiert und presserechtlich verantwortet von Gefangenen der JVA Berlin-Tegel. Seit Anfang 2017 schreibe ich regelmäßig Artikel rund um die Themen Strafvollzug und Strafvollstreckung. Den Artikel habe ich inhaltlich – so auch im Hinblick auf die entsprechende Anrede der Gefangenen respektive der Leser – unverändert übernommen.

Nachdem in Teil 1 die Gesundheitsfürsorge in der Strafhaft sowie in der Sicherungsverwahrung dargestellt wurden, befasst sich dieser Artikel mit der Gesundheitsfürsorge im Rahmen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie in einer Entziehungsanstalt.

Zunächst sei angemerkt, dass sich dieser Artikel mit der Gesundheitsfürsorge bei „sonstigen Erkrankungen“ und nicht im Hinblick auf Eure Anlasskrankheit (Krankheit, die den Anlass für Eure Unterbringung bildet) befasst. Zu den sonstigen Erkrankungen zählen Alltagsbeschwerden wie beispielsweise Zahnschmerzen, Kopfschmerzen, Erkältungen, Grippe, Verletzungen, Knochenbrüche, aber auch psychische Störungen und Suchterkrankungen, die mit der Anlasskrankheit nichts zu tun haben.

I. Art und Umfang der medizinischen Leistung

Die Art und der Umfang der medizinischen Versorgung richtet sich unabhängig davon, welche Konkretisierungen in den einzelnen Landesgesetzen getroffen wurden, nach dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Das bedeutet, dass Eure Ansprüche auf medizinische Leistung weitgehend den Ansprüchen von gesetzlich Krankenversicherten im öffentlichen Gesundheitswesen gleichgestellt sind. 

Es gilt – ebenso wie im Strafvollzug – für die Art und den Umfang der medizinischen Versorgung das aus dem Sozialstaatsgebot abgeleitete Äquivalenzprinzip, so dass der Standard der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten ist. Da die medizinische Versorgung im Maßregelvollzug quantitativ und qualitativ den Leistungen für gesetzlich Krankenversicherte im öffentlichen Gesundheitswesen entsprechen muss – Ihr folglich einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und unter Berücksichtigung des allgemeinen Standards der gesetzlichen Krankenversicherung habt – dürfen notwendige Behandlungen nicht aus Kostengründen abgelehnt werden.

Der Anspruch auf Gesundheitsfürsorge bei sonstigen Erkrankungen umfasst angemessene Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen, die Krankenbehandlung sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln. In Abweichung vom Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht für Euch keine freie Arztwahl. Diese Thematik wird ausführlich unter Ziffer II. dieses Artikels erläutert.

Leistungen der Gesundheitsfürsorge bzw. Krankenbehandlung sind unmittelbar durch Eure Einrichtung zu gewähren. Insoweit sieht § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V das Ruhen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Dies gilt auch dann, wenn Ihr Euch in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befindet und Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlt oder bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente der Krankenversicherungspflicht der Rentner unterliegt.

II. Krankenbehandlung

Der Anspruch auf Gesundheitsfürsorge zur Behandlung sonstiger Erkrankungen wird zum einen in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt und leitet sich zum anderen aus der Fürsorgepflicht der Einrichtung, in der Ihr untergebracht seid, ab. Ebenso wie im Strafvollzug muss auch im Maßregelvollzug nach §§ 63, 64 StGB Eure ärztliche Versorgung sichergestellt sein, da Ihr nicht in gleicher Weise wie in Freiheit in der Lage seid, Beeinträchtigungen Eurer Gesundheit zu begegnen.

Bei der ärztlichen Behandlung richtet sich der Leistungsumfang grundsätzlich nach dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass Ihr einen Anspruch auf Krankenbehandlung habt, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Euer Anspruch auf Krankenbehandlung nach §§ 27 SGB V umfasst insbesondere die ärztliche Behandlung, die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz, die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung, Arbeitstherapie und Soziotherapie.

Eine Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten habt Ihr nicht zu leisten. Die Aufwendungen für Gesundheitshilfen sind Kosten des Vollzuges. Im Einzelfall kann bei fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auch ein Anspruch auf nach § 34 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel bestehen. Die Frage, ob die Kosten durch den Vollzug übernommen werden, richtet sich danach, ob Ihr bedürftig seid, was anhand der Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII festgestellt werden kann. Sofern Ihr über entsprechende Einkünfte oder Vermögen verfügen solltet, kann von Euch ein Zuschuss verlangt werden.

Die zahnärztliche Behandlung umfasst nach § 28 Abs. 2 S. 1 SGB V die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Bei einer notwendigen Behandlung habt Ihr einen Anspruch auf Zuschuss zu Zahnersatz und Zahnkronen. Die Höhe der Zuschüsse zu den Kosten der zahnärztlichen Behandlung und der zahntechnischen Leistungen bei der Versorgung mit Zahnersatz bestimmt sich nach den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch ist es möglich, dass bei der Versorgung mit Zahnersatz die Kosten ganz durch Eure Einrichtung übernommen werden, was insbesondere dann der Fall ist, wenn Ihr mittellos seid.  

Wie auch im Strafvollzug, habt Ihr auch im Maßregelvollzug nach §§ 63, 64 StGB keinen Anspruch auf Behandlung durch einen Arzt oder Therapeuten Eurer Wahl. Die Auswahl der Euch behandelnden Ärzte bzw. Therapeuten steht im pflichtgemäßen Ermessen Eurer Einrichtung, wobei bei der Entscheidung auch Eure berechtigten Interessen zu beachten sind. Es sollte versucht werden, einen Arzt Eures Vertrauens hinzuzuziehen, sofern keine Gründe entgegenstehen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Behandlungsangebot bereits durch Vertragsärzte sichergestellt wird. Kann die Behandlung nicht in Eurer Einrichtung erfolgen bzw. sichergestellt werden, so seid Ihr in ein anderes Krankenhaus (allgemeines Krankenhaus, Justizkrankenhaus des Strafvollzuges), welches Euch behandeln kann, zu verlegen.

Während eines Urlaubs habt Ihr in einigen Bundesländern einen Anspruch auf Krankenbehandlung nur in den für Euch zuständigen Einrichtungen. In denjenigen Bundesländern, in denen diese Frage nicht ausdrücklich geregelt ist, besteht nur ein Anspruch auf die Gesundheitshilfen, die Eure Einrichtung organisiert hat. Liegt allerdings ein akuter gesundheitlicher Notfall vor, könnt Ihr – sofern Euch eine Rückkehr in Eure Einrichtung nicht zugemutet werden kann – den nächsterreichbaren Arzt oder das nächsterreichbare Krankenhaus aufsuchen und Euch untersuchen und/oder behandeln lassen.

III. Zwangsbehandlung sonstiger Erkrankungen

Die Frage, ob Zwangsbehandlungen bei sonstigen Erkrankungen zulässig sind, wird in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Einige Bundesländer sehen die Zwangsbehandlung sonstiger Erkrankungen bei Lebensgefahr oder der Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung vor. In anderen Bundesländern finden sich keine Regelungen in den jeweiligen Landesgesetzen. Wieder andere Bundesländer stellen Zwangsbehandlungen der Anlasserkrankung und sonstiger Erkrankungen unter gleiche Voraussetzungen (Lebensgefahr oder erhebliche Gesundheitsgefahr für Euch oder Dritte). Auch werden in einigen Bundesländern Maßnahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes und damit verbundene Untersuchungen geduldet.

Zur Behandlung sonstiger Erkrankungen bedarf es Eurer Einwilligung bzw. einer betreuungsrechtlichen Grundlage. Sollte somit für Euch ein Betreuer bestellt worden sein, kann dieser grundsätzlich die Einwilligung zur Zwangsbehandlung erteilen. Bei gefährlichen Behandlungsmaßnahmen ist die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen.  

IV. Ärztliche Schweigepflicht

Jede Behandlung im Maßregelvollzug begründet ein besonders geschütztes Verhältnis zwischen Ärzten, Psychologen, dem therapeutischen Personal der Einrichtung und deren Patienten. Sowohl die Euch behandelnden Ärzte und Psychologen als auch das therapeutische Personal haben eine Schweigepflicht aus § 203 StGB sowie ein prozessuales Aussageverweigerungsrecht aus §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 53 a, 76 StPO.

Durch die Strafvorschrift des § 203 Abs. 1 StGB wird Euer Geheimhaltungsinteresse und Euer Recht auf informationelle Selbstbestimmung gesichert. Der Schweigepflicht unterfallen verschiedene Berufsgruppen, ihm Rahmen einer Unterbringung insbesondere Ärzte und ähnliche Heilberufe, Berufspsychologen sowie deren berufsmäßig tätigen Gehilfen (therapeutisches Personal). Diese müssen über Geheimnisse, die ihnen in ihrer jeweiligen Funktion anvertraut oder sonst bekannt geworden sind, schweigen, sofern sie nicht durch Eure wirksame Einwilligung von der Schweigepflicht entbunden wurden oder aber entsprechende Rechtfertigungsgründe – bei Notfällen (Notstand, Nothilfe und Notwehr) – vorliegen.

Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO erstreckt sich auf alle Tatsachen, die Euren Behandlern im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit – Untersuchung und/oder Behandlung – bekannt geworden sind und entfällt nur dann, wenn Ihr das therapeutische Personal wirksam von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden habt, wobei die Entbindung auf bestimmte Tatsachenkomplexe beschränkt werden kann. Voraussetzung für eine wirksame Entbindung ist Eure allgemeine Handlungsfähigkeit, nicht aber Eure Geschäftsfähigkeit, was bedeutet, dass eine natürliche Willensfähigkeit vorliegen muss und eine hinreichende Vorstellung von der Bedeutung des Rechts.

V. Recht auf Auskunft und auf Akteneinsicht

Euer grundrechtlich verankertes Selbstbestimmungsrecht räumt Euch – bezogen auf den Zugang zu Euren Krankenakten – gegenüber Eurem Arzt und Eurer Einrichtung sowohl einen Auskunftsanspruch zu den Unterlagen der Gesundheitsfürsorge als auch einen Anspruch auf Einsicht in die Euch betreffenden Krankenunterlagen ein.

Insoweit wurde durch das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 20.12.2016 (2 BvR 1541/15) klargestellt, dass der grundrechtlich verankerte Anspruch gerade auch dann besteht, wenn der Patient im Strafvollzug oder im Maßregelvollzug untergebracht ist, weil hier das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in stärkerem Maße gefährdet ist als bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen. Dies gelte insbesondere mit Blick auf das Vertrauensverhältnis zu dem behandelnden Arzt und der fehlenden Möglichkeit, ein Behandlungsverhältnis – beispielsweise bei mangelndem Vertrauen in den behandelnden Arzt oder bei einer Zerrüttung des Arzt-Patienten-Verhältnisses – zu beenden.

Da der Inhalt der Krankenunterlagen wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant ist und Ihr Euch ohne Akteneinsicht nicht vergewissern könnt, ob die Aktenführung den grundrechtlichen Anforderungen entspricht, sind Euch alle relevanten Informationen über Euren Gesundheitszustand, den Behandlungsverlauf und die verordneten Medikamente zur Verfügung zu stellen.

Dieses Einsichtsrecht wird allerdings nicht ohne Einschränkungen gewährleistet und muss dann zurücktreten, wenn diesem gewichtige Gründe entgegenstehen. Sollte es im Hinblick auf bestimmte Aktenteile hinreichend gewichtige Gründe für die Ablehnung der Akteneinsicht geben, besteht indes die Möglichkeit der Aussonderung oder Schwärzung dieser Aktenteile mit der Folge der Einsicht in die so „zensierte“ Krankenakte.  

Sofern Ihr ausschließlich eine Auskunft über die Euch betreffenden Daten erhalten möchtet, müsst Ihr gegenüber Eurer Einrichtung einen entsprechenden mündlichen oder schriftlichen Antrag stellen.

Voraussetzung für die Gewährung von Akteneinsicht – sowie ggf. auf Ablichtung und/oder auf Ausdruck einzelner Dokumente – ist ein entsprechender (schriftlicher) Antrag gegenüber Eurer Einrichtung. Sowohl das Auskunfts- als auch das Akteneinsichtsrecht kann sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich nicht nur durch Euch als Betroffene, sondern auch durch Euren Verteidiger geltend gemacht werden. Dazu bedarf es einer ärztlichen Schweigepflichtentbindungserklärung, was bedeutet, dass Ihr den Euch behandelnden Arzt gegenüber Eurem Anwalt von seiner Schweigepflicht befreien müsst.

VI. Rechtsschutz

Ebenso wie im Strafvollzug gelangen auch im Maßregelvollzug die §§ 109 ff. StVollzG zur Anwendung, wenn Ihr gerichtlich gegen Maßnahmen Eurer Einrichtung vorgehen wollt. Therapeutische Maßnahmen in Gestalt der allgemeinen medizinischen Behandlung sind rechtlich ebenso zu überprüfen wie ärztliche Behandlungen im Strafvollzug. Antragsgegnerin ist immer Eure Einrichtung – psychiatrisches Krankenhaus bzw. Entziehungsanstalt – und nicht der Euch behandelnde Arzt.

Da der Euch behandelnde Arzt bzw. das therapeutische Personal berechtigt sind, im gerichtlichen Verfahren nach § 109 StVollzG Auskünfte zu verweigern und zu schweigen, müsst Ihr Euren Arzt/das therapeutische Personal wirksam von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbinden.

Hinsichtlich der weiteren Antragsvoraussetzungen sowie der verschiedenen Antragsarten nebst Musterformulierungen verweise ich auf meine beiden lichtblick-Artikel „Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung Teil 1: der 109er“ sowie „Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung Teil 2: der 114er.“