Ich habe "XYZ" getan - welche Strafe erwartet mich jetzt?

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Die Strafzumessung in der Praxis - genauso kompliziert?

Es gibt keine Frage, die der Strafverteidiger von seinem Mandanten häufiger hört als die nach der zu erwartenden Strafe. Natürlich will der Mandant wissen, was am Ende des Strafverfahrens "dabei herauskommt" – alle anderen Fragen sind neben dieser Frage zweitrangig.

So wichtig die Frage für den Mandanten auch ist - der Rechtsanwalt wird ihm meistens nicht die erhoffte konkrete Auskunft geben können. Die sehr richtige, aber leider nicht sehr hilfreiche Antwort des Anwalts lautet dann auch in aller Regel: "Das kommt ganz darauf an".

Die Grundsätze der Strafzumessung - Worauf kommt es an?

Worauf kommt es bei der Bemessung der konkreten Strafe an? Und weshalb tun sich selbst die "alten Hasen" unter den Strafverteidigern so schwer, eine konkrete Prognose über das Maß der zu erwartenden Strafe abzugeben? Die Strafe sollte sich doch eigentlich aus dem Strafgesetzbuch ergeben, oder nicht?

Der Strafrahmen

Ja und Nein. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist sicherlich der Strafrahmen der Straftat, die der Beschuldigte begangen hat. Dieser Strafrahmen ergibt sich aus dem Gesetz; er ist allerdings bei fast allen Delikten sehr, sehr weit. So bestimmt das Strafgesetzbuch beispielsweise für den einfachen Diebstahl in § 242 Abs. 1 als Strafe eine "Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe". Da die Geldstrafe gemäß § 40 StGB mindestens fünf Tagessätze à einem Euro beträgt, schreibt das Gesetz also für den einfachen Diebstahl einen theoretischen Strafrahmen von mindestens fünf Euro Geldstrafe bis höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe vor. Daran sieht man, dass das Strafgesetzbuch für eine brauchbare Prognose der Strafhöhe nur wenig hergibt.

Dass das Gesetz so wenig konkret ist, wenn es um die Höhe der Strafe geht, hat einen guten Grund. Der Gesetzgeber berücksichtigt, dass erstens jeder Diebstahl - das heißt jeder Sachverhalt - sich von den anderen Sachverhalten unterscheidet und dass sich zweitens jeder Straftäter von den anderen Straftätern unterscheidet. Damit der Richter jedem Einzelfall wirklich "gerecht" werden kann, braucht er diesen weiten Strafrahmen, innerhalb dessen er die für den konkreten Fall angemessene Strafe findet, so dass diese sich nach der Schuld des Täters bemisst (§ 46 StGB).

Die Strafzumessungstatsachen

Die Tatumstände des konkreten Falles, die auf die Art und die Höhe der Strafe Einfluss haben, werden als Strafzumessungstatsachen bezeichnet. Die Liste der möglichen Strafzumessungstatsachen ist genauso lang wie die Liste der möglichen Sachverhalte. Beispiele für den Fall des Diebstahls: Der Wert der gestohlenen Sache, Art und Begehung des Diebstahls, Tatobjekt (Pelzmantel oder Winterjacke für die Kinder?), die Vorstrafen des Täters, sein Vorleben, sein Verhalten nach der Tat usw.

Die Strafzumessungserwägungen

Hat der Richter die Umstände des Falles aufgeklärt und die Strafzumessungstatsachen herausgearbeitet, geht es abschließend in den Strafzumessungserwägungen darum, die einzelnen Tatsachen in eine vernünftige Relation zu den Strafzwecken zu bringen. Ein Zweck der Strafe wäre es zum Beispiel, den Dieb von der Begehung zukünftiger Straftaten abzuhalten. Das Verhältnis der verschiedenen Umstände zu den Strafzwecken kann durchaus widersprüchlich sein. Deshalb kann das Ergebnis des richterlichen Abwägungsvorgangs auch so schwer prognostiziert werden. Will zum Beispiel der Richter die Mutter davon abhalten, auch in Zukunft die Winterkleider für die Kinder zu stehlen, so könnte er damit eine hohe Geldstrafe rechtfertigen (damit der Täterin klar wird, dass sich ihre Vorgehensweise nicht "lohnt"), er könnte mit diesem Strafzweck aber auch eine niedrige Strafe rechtfertigen (eine hohe Geldstrafe erschwert die Situation der Mutter noch weiter, weshalb sie dann wieder stehlen wird). Die dem Richter abverlangte Vorgehensweise macht seine Strafzumessung am Ende zwar nachvollziehbar, weil er sie begründen muss, sie wird dadurch aber nicht unbedingt vorhersehbar.

Es zeigt sich, dass die vom Gesetzgeber vorgesehenen und von der Rechtswissenschaft herausgearbeiteten Grundsätze der Strafzumessung – die hier nur angerissen werden konnten – durchaus komplex sind. Geht der Richter wirklich immer so vor? Ja und Nein. Tatsächlich wird der Richter die Grundsätze immer im Hinterkopf haben. Dies schon deshalb, weil er die Strafzumessungstatsachen, nach denen er die Strafe bemisst, angeben muss. Nun wird der Richter aber nicht bei jedem einfachen Diebstahl komplizierte Erwägungen anstellen, sondern er wird sich auch danach richten, wie er selbst in vorangegangenen vergleichbaren Fällen geurteilt hat und was seine Kollegen in ähnlichen Fällen judizieren. Auch wenn jeder Fall und jeder Täter anders ist - vergleichen lassen sie sich ja trotzdem. Durch diese Vorgehensweise bildet sich dann eine Spruchpraxis der Gerichte heraus, so dass die Strafe im konkreten Fall bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar wird.

Welche Rolle spielt der Strafverteidiger?

Während der Richter einen immer anderen Fall und einen immer anderen Täter vor sich hat, kommt für den Verteidiger eine dritte Unbekannte hinzu: der immer andere Richter. Es ist kein Geheimnis, dass der eine Richter milder urteilt als der andere. Hinzu kommen persönliche Ansichten und Wertungen der Richter, die nicht transparent sind, die Strafe aber durchaus beeinflussen können. Das alles erschwert eine eindeutige Antwort auf die Frage des Mandanten, was denn nun am Ende "dabei herauskommt". Gleichwohl ist die Rolle des Verteidigers im Gesamtvorgang der Strafzumessung nicht zu unterschätzen. Häufig kann er vermeiden, dass es überhaupt zu einer Strafe kommt, nämlich indem er im Ermittlungsverfahren oder auch noch in der Hauptverhandlung auf eine Einstellung des Verfahrens hinwirkt. Gerade die Einstellung gegen Geldauflage nach § 153a StPO bietet sehr viele Ansätze für eine Verteidigungsstrategie. Doch auch wenn – etwa wegen der Schwere der Tat – eine Einstellung nicht zu erreichen ist, kann der Verteidiger auf die Strafzumessung Einfluss nehmen. Eine seiner wesentlichen Aufgaben im Verfahren ist es nämlich, die Aufklärung des Sachverhaltes zu Gunsten seines Mandanten zu beeinflussen. Dazu gehört es zum Beispiel auch, auf entlastende oder mildernde Umstände hinzuweisen und diese in das Verfahren einzubringen. Indem der Rechtsanwalt also für den Mandanten günstige Strafzumessungserwägungen darlegt, nimmt er mittelbar Einfluss auf die Zumessungserwägungen des Richters. Dabei hilft es ihm, dass er sich bei der Erarbeitung der Verteidigungsstrategie mehr Zeit für den Mandanten nehmen kann, als es dem Richter häufig möglich ist. Manchmal ist es nämlich entscheidend, dass sich der Anwalt "die ganze Geschichte" des Mandanten anhört, damit er in der Lage ist, die wichtigen für den Angeklagten sprechenden Strafzumessungstatsachen vor Gericht zu Gehör zu bringen. So wird dann vor Gericht aus dem Sachverhalt "Frau stiehlt Bekleidung im Wert von 250,- Euro" der Sachverhalt "Mutter entwendet Winterjacken für ihre Kinder, weil sie sich nicht anders zu helfen wusste".

Nun wird man einwenden, dass die Mutter ihre Geschichte auch ohne Strafverteidiger dem Richter hätte erzählen können. Das stimmt aber leider nur bedingt. Viele Betroffene eines Strafverfahrens haben die leidvolle Erfahrung gemacht, dass sich weder Polizei, noch Staatsanwaltschaft noch der Richter wirklich für ihre Sicht der Dinge interessiert haben. Die Mühlen der Justiz mögen zwar insgesamt langsam mahlen, eine alltägliche Hauptverhandlung aber kann durchaus nach wenigen Minuten beendet sein. Ob sich der Richter dann wirklich die Zeit genommen hat, eine mitunter lange Geschichte anzuhören, ist alles andere als sicher.

Fazit

Auf die Strafzumessung nehmen unzählige Faktoren Einfluss. Auf die knappe Frage in der Überschrift dieses Beitrags wird ein Rechtsanwalt daher keine sinnvolle Antwort geben können. Doch selbst wenn er sich den gesamten Sachverhalt erklären lässt, er eventuell die Vorstrafen des Mandanten kennt und er schließlich weiß, bei welchem Richter die Sache verhandelt wird, wird ihm eine konkrete Prognose schwer fallen. Es sind einfach zu viele Unbekannte in der Rechnung. Und schließlich wird es auch darauf ankommen, wie gut es ihm gelingt, den Sachverhalt vor Gericht zu Gunsten seines Mandanten zu beeinflussen. Für einen engagierten Strafverteidiger ist diese Einflussnahme auf das Ergebnis des Verfahrens wichtiger als das Rätselraten über das mögliche Ergebnis – und einen ungefähren Rahmen, innerhalb dessen sich die Strafe voraussichtlich bewegen wird, kann der Strafverteidiger in aller Regel angeben.