Ich schau dann mal weg.. .

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Unterlassene Hilfeleistung wird meistens nicht bestraft

Unterlassene Hilfeleistung liegt im Trend. Wer Anderen hilft, ist uncool. Angesagt ist, wer ignoriert, dass es Gesetze gibt, die uns dazu verpflichten. Dazu gehört Paragraf 323c Strafgesetzbuch: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft". Ein harmloser kurzer Gesetzestext, oder? Manche halten die unterlassene Hilfeleistung für ein Kavaliersdelikt. Meistens ist sie sowieso nicht zu beweisen. Dabei ist nicht der Fall gemeint, dass ich einen Ertrinkenden nicht aktiv retten muss, weil ich (angeblich) nicht schwimmen kann.

Stattdessen stellen wir uns vor, wir gehen allein oder zu zweit in der Stadt spazieren, fahren U-Bahn, wohnen in einem hellhörigen Mietshaus, gehen zur Schule, gehen in die Disko. Egal, ob es hell oder dunkel ist. Gewalt lauert überall und kommt manchmal unerwartet um die Ecke. Jemand wird verfolgt, angegriffen, geschlagen oder missbraucht. Was machen wir? Helfen oder so tun, als wäre nichts? Weitergehen? Wegsehen? Weghören?

Bei § 323c StGB handelt es sich um ein so genanntes echtes Unterlassungsdelikt. Ich komme zufällig an einer Gewalttat vorbei, will aber nicht helfen, obwohl ich dazu in der Lage wäre. Der Bundesgerichtshof sagt dazu, dass die unterlassene Hilfeleistung bloß ein Vergehen mit vergleichsweise geringem Gewicht sei (BGH 3. Strafsenat, 07.10.2004, Aktenzeichen:3 StR 136/04). Ein Vergehen und kein Verbrechen? Das hilft nicht weiter in dieser Gesellschaft, die immer gefühlskälter wird, sondern fördert das Wegsehen, denn es wird ja entweder gar nicht oder zu gering bestraft.

Gleichgültigkeit kann teuer werden

Ein schwacher Trost ist, dass Opfer zivilrechtlich klagen können, wenn sie den Mut dazu haben. Als Beispiel kann eine im Jahr 2004 ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27.07.2004 (Aktenzeichen: I-14 U 24/04, 14 U 24/04) dienen. Die Klägerin, die am 25.11.2000 früh morgens auf der Straße im Auto vergewaltigt wurde, verklagte mehrere Personen, die dabei zugesehen und ihr nicht geholfen haben, auf Zahlung von Schmerzensgeld. Sie hatte Erfolg! Die Zivilrichter haben die zuvor strafrechtlich bestätigte unterlassene Hilfeleistung bzw. den Paragrafen 323c Strafgesetzbuch als Schutzgesetz nach Schadensersatzparagraf 823 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) angesehen. Wer ein Schutzgesetz verletzt, indem er nicht hilft und nicht dazu beiträgt, dass Rechtsgut eines Einzelnen oder einer Personengruppe vor Verletzungen zu schützen, muss zahlen. Die vergewaltigte Frau bekam zwar nur 8000 Euro, da mehr hierzulande nicht üblich ist. Dennoch hat sie sich nachträglich gegen die gewehrt, die ihr nicht geholfen haben.

Gibt es ein Fazit? Ja. Die traurige Erkenntnis, dass Wegsehen und Ignorieren oft einfacher ist, als zu helfen. Wer sich einmischt, riskiert viel und läuft Gefahr, selbst ein Opfer zu werden. Gibt es Wege zu mehr Mut und Zivilcourage ohne Gesetze zu verschärfen?


Regina Kohn