Strafbefehl, Strafverfahren - wann bekomme ich einen Pflichtverteidiger?

Mehr zum Thema: Strafrecht, Pflichtverteidigung, Hartz IV, Untersuchungshaft, Freiheitsentzug, Berufsverbot
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Wenn das Geld für einen Anwalt fehlt, haben Beschuldigte in bestimmten Fällen dennoch Anspruch auf einen Verteidiger

Wer nicht viel in der Tasche hat und trotzdem mit der Justiz Schwierigkeiten bekommt, stellt sich oft die Frage, ob ein Pflichtverteidiger für ihn bestellt werden kann. Viele Hartz IV Empfänger glauben beispielsweise, dass Ihnen automatisch ein Anwalt beigeordnet wird. Das ist ein großer Irrtum. Im Strafrecht gibt es die Beiordnung nicht, sondern nur die Fälle der sogenannten notwendigen Verteidigung. Viele Adressaten eines Strafbefehls beispielsweise können sich keinen eigenen Anwalt leisten, werden aber mit der Situation überfordert. Sicher kann ein Anwalt helfen, die Akte einsehen, Einsprüche einlegen, Beweisanträge stellen oder die Geldstrafe nach unten handeln. Umsonst würd er das allerdings nicht tun.

Wer also in einer solchen Situation ist, sollte sich zunächst darüber informieren, wann ein Fall einer sogenannter notwendiger Verteidigung vorliegt, also ein Pflichtverteidiger gestellt werden kann.

Gemäß § 140 StPO ist in folgenden Konstellationen ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben:

Hauptverhandlung vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist immer dann notwendig, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Weiter umfasst die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts Fälle, in denen mit einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren zu rechnen ist, oder in denen der Umfang des Verfahrens eine Anklageerhebung vor dem Landgericht gebietet. Die Fälle schwerer und schwerster Kriminalität gehören demnach bereits auf Grund dieser Vorschrift immer zu den Fällen notwendiger Verteidigung.

Verdacht auf Verbrechen

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO auch immer dann erforderlich, wenn dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Der Begriff des Verbrechens nimmt hierbei auf die Definition in § 12 Abs. 1 StGB Bezug, demzufolge diejenigen rechtswidrigen Taten, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind.

Drohendes Berufsverbot

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt nach § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO weiter dann vor, wenn das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann. Die Voraussetzungen, unter denen das gegeben ist, sind in den §§ 70 ff. StGB geregelt.

Vollstreckung von Untersuchungshaft

Nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt vollstreckt wird. Hier muss nach § 141 Abs. 3 StPO ein Pflichtverteidiger unverzüglich mit Beginn der Untersuchungshaft („nach Beginn der Vollstreckung") bestellt werden. "Unverzüglich" bedeutet allerdings auch hier nicht "sofort" oder "zusammen mit dem zu vollstreckenden Untersuchungshaftbefehl", sondern, wie auch sonst im Rechtsverkehr lediglich ohne schuldhaftes Zögern. Das bedeutet, dass mit der Verteidigerbestellung zugewartet werden kann und muss, wenn der Beschuldigte erklärt, eine Überlegungsfrist zu benötigen, ehe er einen Verteidiger seines Vertrauens benennen kann.

Längerer Freiheitsentzug

Nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegt gleichfalls ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte sich aufgrund einer richterlichen Anordnung oder Genehmigung wenigstens seit drei Monaten einer freiheitsentziehenden Behandlung unterziehen musste. Hier ist nicht nur die Untersuchungshaft als Freiheitsentzug gemeint (die den Regelfall für die Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO darstellt), sondern auch Auslieferungshaft, Strafhaft und sonstiger - sei es auch rechtswidriger - Gewahrsam über drei Monate hinweg.

Unterbringung zur Gutachtenerstellung

Ebenfalls ist die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 6 StPO notwendig, wenn der Beschuldigte zum Zwecke der Erstellung eines Gutachtens über seinen psychischen Zustand untergebracht werden soll.

Sicherungsverfahren

Derjenige, gegen den ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird, bedarf gleichfalls eines Verteidigers (§ 140 Abs. 1 Nr. 7 StPO). Ein Sicherungsverfahren wird dann durchgeführt, wenn der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB gewesen sein soll, aber eine isolierte Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt werden muss, weil der Täter aufgrund seines Zustandes für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Andere Fälle der notwendigen Verteidigung

Neben den Fällen des § 140 Abs. 1 StPO, in denen allein aufgrund eines bestimmten prozessualen Sachverhalts die Notwendigkeit der Verteidigung angeordnet wird, besteht notwendige Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO auch dann, wenn "wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann". Der Begriff der "Schwere der Tat" meint dabei die zu erwartende Sanktion.

Was tun, wenn diese Fälle nicht vorliegen?

Wer also nicht unter diese Punkte fällt, hat also ein Problem. Hier bleibt immer noch die Möglichkeit, einen Beratungshilfeschein in Anspruch zu nehmen. Dieser wird auch von den Amtsgerichten und den Bürgerämtern für strafrechtliche Verfahren ausgegeben. Doch der erlaubt einem Anwalt nur, im Rahmen einer ersten Einschätzung zu beraten. Die Akteneinsicht und weitere Schritte sind davon nicht gedeckt.

Im Rahmen des Beratungsgespräches kann der Anwalt jedoch abschätzen, ob er eine etwaige Geldstrafe herunter handeln kann oder ob es Sinn macht, das Verfahren zu betreiben, da ein Freispruch möglich ist. In diesen Fällen würde nämlich die Landeskasse die Kosten des Strafverfahrens tragen. Der Betroffene muss sich also ausrechnen, ob er eine etwaige Anwaltsrechnung in kleinen Raten abbezahlen kann und trotzdem günstiger davon kommt, weil die Geldstrafe reduziert werden kann oder sogar ein Freispruch realistisch ist. Wir beraten Sie gerne…

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