Befangenheit einer Richterin wegen unterlassener Weiterleitung eines Dokuments

Mehr zum Thema: Verfahrensrecht, Befangenheit, Richter
4,89 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
9

Wann kann ein Ablehnungsgesuch (Befangenheitsantrag) erfolgreich eingereicht werden?

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat auf eine Beschwerde der Kanzlei ein Ablehnungsgesuch gegen eine Richterin des Amtsgerichts Hamburg St.-Georg in der Sache 12 WF 193 / 10 am 08.10.2010 für begründet erklärt.

Das Amtsgericht hatte das Ablehnungsgesuch zuvor als unbegründet zurückgewiesen.

Stefan Musiol
Partner
seit 2009
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Gewerblicher Rechtsschutz
Heideweg 29f
22952 Lütjensee b. Hamburg
Tel: 041549888853
Tel: 09119601919
Web: https://strategie-unternehmen.de
E-Mail:
Vertragsrecht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht
Preis: 120 €
Antwortet: ∅ 20 Std. Stunden

Gegenstand des Ablehnungsgesuchs war unter anderem die Tatsache, dass die Richterin ein unmittelbar durch einen Prozessbeteiligten an das Gericht gesendetes Schreiben zur Gerichtsakte genommen hatte, es aber nicht an die betroffene Beteiligte weitergeleitet hatte. Das Schreiben enthielt schwerwiegende Vorwürfe gegen eine andere, durch die Kanzlei vertretene Prozessbeteiligte, die später den Befangenheitsantrag stellte.

Das Schreiben war gemäß Adresskopf an das Gericht sowie alle weiteren Beteiligten des Verfahrens mit Ausnahme der diffamierten Prozessbeteiligten gerichtet und sollte das Verfahren im Interesse des Absenders befördern. In einem engen zeitlichen Zusammenhang zu dem Schreiben wurde dann auch ein Verhandlungstermin angesetzt, dem eine positive Entscheidung zugunsten des Briefabsenders folgte.  

Hinzu kam, dass das Amtsgericht der in dem Brief diffamierten Beteiligten schon im Vorfeld der mündlichen Verhandlung und noch in der mündlichen Verhandlung die beantragte Akteneinsicht verwehrt hatte. Dadurch erfuhr die betroffene Beteiligte erst nach rund zwei Monaten von den Inhalten des Schreibens. Eine Stellungnahme war ihr damit verwehrt, worin der Senat den entscheidenden Anlass für die begründete Ablehnung sieht.

Unerheblich sei dabei, ob das Schreiben tatsächlich für die Richterin von Bedeutung gewesen sei und damit evtl. die Entscheidung beeinflusste.

Tatsächlich hatte die diffamierte Prozessbeteiligte in der folgenden Gerichtsverhandlung, in der das Schreiben und seine Inhalte nicht erwähnt wurde, keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Aus gewissen Äußwerungen war nur spürbar, dass etwas hintenrum gelaufen war .

Eine solche Situation passt nicht zu einem fairen, rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren.

Die Voraussetzungen der Ablehnung stellte der Senat des OLG in seiner Entscheidung klar:

Eine Richterablehnung ist neben dem seltenen Umstand, dass er vorm Richteramt ausgeschlossen ist, gemäß § 42 Abs. 2 ZPO wirksam abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Unerheblich ist es aber, worauf der Senat ausdrücklich in seiner Begründung hinwies, dass die Richterin objektiv befangen ist oder sich selbst für befangen hält.

Häufiger Anlass einer erfolgreichen Ablehnung sind hier einseitige oder herabstufende Äußerungen gegenüber einer Partei des Zivilprozesses oder einem Angeklagten. Auch die einseitige Unterstützung einer Partei durch den Richter kann Anlass sein. Aber auch Verfahrensunregelmäßigkeiten wie in dieser Sache können nach der Entscheidung des OLG Hamburg die Besorgnis der Befangenheit begründen.

Entscheidend ist also nicht der Nachweis der Parteilichkeit, ein nachgewiesen einseitiges Verhalten, sondern nur die begründete Besorgnis. Die zugrunde liegenden Bedenken dürfen freilich nicht nur rein subjektiv bestehen, sondern der ablehnende muss bei vernünftiger Würdigung aller Umstände einen Anlass haben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, wie das OLG zutreffend in seiner Begründung ausführte.  

Welche Form- und Fristvorgaben bestehen?

Bei einer Richterablehnung gelten im Übrigen weitere Vorgaben des Gesetzes. Wer Anträge stellt oder an einer Verhandlung teilnimmt, ohne auf die Ablehnung hinzuweisen, nimmt sich das Recht auf eine spätere Ablehnung: Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.02.2008 - Az: VIII ZB 56/07).

Nach einem Ablehnungsantrag in der mündlichen Verhandlung wird diese regelmäßig unterbrochen und durch den abgelehnten Richter die sofortige Entscheidung des zuständigen Richterkollegen ersucht. Er kann bis zu einer Entscheidung nur unaufschiebbare Maßnahmen durchführen.

Wird Antrag in einer mündlichen Verhandlung  gestellt, wird in der Regel sofort durch einen nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Kollegen oder eine Kollegin des abgelehnten Richters entschieden.

Richterablehnung sinnlos?

Tatsächlich haben Ablehnungsgesuche nur zu einem geringen Anteil Erfolg. Generell sinnlos sind Versuche, sich gegen subjektiv schwer nachvollziehbare oder gar für falsch gehaltene Entscheidungen mit der Richterablehnung zu wehren. Dafür gibt es Rechtsmittel.

Die Entscheidung zeigt, dass ein Ablehnungsgesuch nicht prinzipiell aussichtslos ist, sondern zumindest in der bei einer Zurückweisung möglichen Beschwerdeinstanz Aussicht auf Erfolg haben kann.

Naturgemäß wird bei einer höheren Instanz eine geringere Hemmschwelle sein, die Besorgnis des Ablehnenden nachzuvollziehen, als bei einem unmittelbaren Richterkollegen.

Richter sind eben auch nur Menschen.

Wollen Sie mehr wissen? Lassen Sie sich jetzt von diesem Anwalt schriftlich beraten.