Im Zweifel für die Sicherheit – Voraussetzungen der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung

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"Man kann ja nicht alle zwei Wochen eine Postkarte schicken ´bring bitte niemanden um´ "

(del/bim) Sexual- und Triebtäter ändern sich doch nie, die gehören hinter Gitter – am besten für immer. So oder ähnlich wird der Diskussion um die nachträgliche Sicherungsverwahrung von der Bevölkerung der Hahn zugedreht. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung nach der Haft zwar prinzipiell genau abgesteckt, ein unsicherer Beigeschmack bleibt aber: Die Entscheidung für die Sicherungsverwahrung trifft der Richter anhand einer Kriminalprognose, und bei Prognosen, das kennt man vom Wetter, hapert es manchmal mit der Richtigkeit. Prognoseentscheidungen bergen stets das Risiko der Fehlprognose.

"Bei der Sicherungsverwahrung geht es aber um Fälle, bei denen die Prognose doch deswegen relativ sicher ist, weil meist schon eine gravierende Vorgeschichte gegeben ist, wo es schon mehrfach Rückfälle gegeben hat und wo eine sehr intensive Handlungsbereitschaft in eine bestimmte Richtung sichtbar geworden ist", sagt Professor Hans-Ludwig Kröber, Leiter des Instituts für forensische Psychiatrie der Freien Universität Berlin in einem Gespräch mit 123recht.de. Eine Sicherungsverwahrung für Ersttäter und Heranwachsende ist dem Experten daher zu unsicher. "Die ganze Kriminalprognose stützt sich darauf, dass man eine Vorgeschichte hat und diese in die Zukunft verlagert." Ohne Vorgeschichte, etwa bei Ersttätern oder Heranwachsenden, stehe die Sicherungsverwahrung auf extrem wackeligen Beinen. Bei Tätern zwischen 18 und 21 Jahren könne es natürlich sein, dass bereits eine stabile sexuelle Fehlentwicklung vorliege. Hier müsse aber die Frage zulässig sein, ob das nicht eher Leute sind, die besser in die psychiatrische Maßregel reingehören, so Kröber. Eine Krimnalprognose hält der Mediziner bei Heranwachsenden insgesamt für sehr schwierig: "Männer im heranwachsenden Alter sind noch in der Entwicklung und daher noch veränderlich".

Menschenwürde durch Sicherungsverwahrung nicht verletzt

Laut Bundesverfassungsgericht müssen konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass die Gefährlichkeit des Täters fortbesteht. Eine Entscheidung, so das Gericht weiter, müsse sich auf ein Sachverständigengutachten stützen. Das ärztliche Gutachten muss "anerkannten wissenschaftlichen Standards" genügen. Doch genau daran fehlt es in der Praxis oft. Kröber hält es für "notwendig, dass Sachverständige tatsächlich auch eine Ausbildung in kriminalprognostischer Begutachtung haben." Aber bisher gebe es keine festgelegten Voraussetzungen, um ein Gutachter zu werden. "Es ist ja nirgends gesetzlich geregelt", so der Experte für Forensik. Insoweit klafften der wissenschaftliche Kenntnisstand und die Praxis auch mal auseinander.

Bedenken, eine Sicherungsverwahrung sei unvereinbar mit der Menschenwürde des Straftäters, erteilte das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage. "Die Menschenwürde wird auch bei langdauernder Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendig ist." Je länger diese Freiheitsentziehung aber dauere, desto gewichtigere Gründe müssten ins Feld geführt werden, die den weiteren Entzug der Freiheit rechtfertigen. "Das Gericht hat - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und den Medien - sehr deutlich gesagt, dass nach zehn Jahren Schluss ist, wenn eine Gefährlichkeit nicht bewiesen werden kann", stellt Kröber klar. Das gelte auch für denjenigen, der zum zweiten oder dritten Mal in der Sicherungsverwahrung ist.

Der Gesetzgeber muss aber keine zeitliche Höchstgrenze für die Sicherungsverwahrung festlegen. Die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit entfällt laut Bundesverfassungsgericht nicht notwendigerweise nach einer bestimmten Zeit. Professor Kröber sieht hierin auch keine Kapitulation der Gesellschaft vor gefährlichen Sttraftätern. "Was will man machen. Man kann denen ja nicht alle zwei Wochen eine Postkarte schicken bitte bring niemanden um". Ein wirklich gefährlicher Straftäter müsse tatsächlich weggesperrt bleiben, solange er so gefährlich bleibt.

"Es geht um die Nachbesserung von gerichtlichen Urteilen"

Das Haftverhalten des Gefangenen soll bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Es gilt, auch die gesamte Vorgeschichte zu berücksichtigen. "Das ist in der Tat aussagekräftiger" erklärt Kröber 123recht.de. "Bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung geht es in Wahrheit nicht um eine Reaktion auf ein Haftverhalten, sondern um die Nachbesserung von gerichtlichen Urteilen. Um Urteile nämlich, bei denen die Augen vor der Realität eines gefährlichen Täters fest zugekniffen wurden."

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