Zur Geltung von EU-Führerscheinen aus Polen, Tschechien, etc. nach Entziehung der Fahrerlaubnis

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Der Führerscheintourismus nach Tschechien und Polen boomt. Im Internet werden polnische und tschechische Führerscheine „legal, gut, günstig" mit Rundumservice innerhalb von sechs Wochen bereits für ca. 1.400 € angeboten. Nach Angaben des ADAC werden die Führerscheinanwärter mit professionell geplanten pauschalen „Führerscheinreisen" nach Stettin, Pilsen und Karlsbad gefahren, mit dem Ziel dort günstig einen EU-Führerschein zu erwerben.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Deutsche Verkehrssünder, denen nach Alkoholdelikten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist zur Neuerteilung des Führerscheins erst nach bestandener Medizinisch-Psychologischer Untersuchung (MPU), sog. Idiotentest auferlegt wurde, hoffen in Polen, Tschechien und anderen EU-Ländern „schnell, problemlos und vor allem günstig", ohne aufwendige MPU-Prüfung und dem damit verbundenen Risiko durchzufallen, einen neuen auch in Deutschland gültigen Führerschein zu erhalten.

Sascha  Kugler
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Fraglich ist jedoch, ob die Anpreisungen der ausländischen Fahrschulen halten, was sie dem deutschen Verkehrssünder unbürokratisch und günstig versprechen.

Der Erwerb eines Führerscheins in einem EU-Mitgliedsstaat setzt nach EU-Richtlinien voraus, dass der Bewerber vor Erwerb eines Führerscheins mindestens 185 Tage in dem betreffenden Land gewohnt hat.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits in einem Urteil vom 29.04.2004 zum Aktenzeichen C-476/01 entschieden, dass die deutschen Behörden einen in einem EU-Mitgliedstaat nach Ablauf der Sperrfrist erworbenen Führerschein anerkennen müssen. Die Anerkennung darf nicht deshalb verweigert werden, weil der Inhaber in dem Staat, der den Führerschein ausgestellt hat, nie einen Wohnsitz hatte.

Der EuGH begründet seine Entscheidung damit, dass es allein Sache des Ausstellerstaates sein muss, zu prüfen, ob das Wohnsitzerfordernis von 185 Tagen erfüllt wurde. Andernfalls würden die Staaten in ihrer Integrität verletzt. Danach ist eine Fahrerlaubnis, die in einem Staat der EU nach Ablauf der Sperrfrist erworben wurde, in Deutschland selbst dann anzuerkennen, wenn sie in Deutschland ohne Vorlage einer MPU-Bescheinigung nicht erteilt worden wäre.

Nach dieser Entscheidung ist somit Dreh und Angelpunkt allein die 185 Tageregelung. Polen hat die 185-Tage-Regelung eingeführt. Sie wird jedoch allem Anschein nach entweder nicht beachtet oder umgangen. Tschechien hat ein Gesetz erlassen, nachdem ein Führerschein ohne festen Wohnsitz in Tschechien nicht erworben werden kann. Teilweise wird aber damit geworben, dass ein tschechischer Wohnsitz in den Führerschein eingetragen werde.

Die Tür zu einem Rechtsmissbrauch steht somit weit offen, so dass verständlich ist, dass die Behörden in Deutschland diesen Führerscheintourismus mit Argwohn betrachten und unterbinden möchten. Die Behörden vertreten dabei die Auffassung, dass in der Ausstellung eines in einem EU-Mitgliedsstaates erworbenen EU-Führerscheins ohne Nachweis des Bestehens der angeordneten MPU ein Rechtsmissbrauch liegt und der Führerschein ohne Vorlage einer MPU-Bescheinigung in Deutschland nicht gültig sei.

Die deutsche Rechtssprechung hat bisher keine klare Linie gefunden. Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof jedoch in einem Urteil vom 26.06.2008 zum Aktenzeichen C-329/06 entschieden, dass ein Umgehen der MPU noch keinen Rechtsmissbrauch darstellt, wenn die 185 Tage Regelung eingehalten und ein entsprechender ausländischer Wohnsitz des Ausstellerlandes im Führerschein eingetragen ist. In diesem Falle wäre eine Aberkennung des in einem EU-Mitgliedstaat erworbenen EU Führerscheins rechtswidrig und der Führerschein müsste in Deutschland anerkannt werden. Der EuGH hat mit dieser Entscheidung sein Urteil vom 29.04.2004 bekräftigt.

Nach dieser Entscheidung ist mit anderen Worten ein in einem EU-Mitgliedstaat erworbener Führerschein trotz einer erteilten MPU-Auflage dann in Deutschland gültig, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind.

  1. Der Erwerb erfolgte erst nach der erteilten Sperrfrist.
  2. Es wurde die 185 Tage Regelung beachtet.
  3. Es wurde ein Wohnsitz des Ausstellerlandes in den Führerschein eingetragen.

Dieser Entscheidung des EuGH hat sich zwischenzeitlich auch die deutsche Rechtssprechung angeschlossen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschied in Entscheidung vom 14.07.2008 zum Az. 9L 786/08, dass ein Besitzer eines polnischen Führerscheins mit polnischem Wohnsitzaufdruck, diesen auch in Deutschland benutzen dürfe und somit im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist.

Es dürfte jedoch abzuwarten sein, ob die Behörden diese Entscheidung auch in der Praxis akzeptieren werden. Momentan ist noch davon auszugehen, dass jeder Besitzer eines in einem EU-Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins sowohl in einer Verkehrskontrolle, als auch nach einem Unfall, Probleme mit den deutschen Behörden bekommen dürfte. In diesem Falle ist dem Betroffenen nur zu raten, schnellstmöglich einen Anwalt seines Vertrauens mit der Angelegenheit zu beauftragen.

Sascha Kugler
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Leserkommentare
von momosticot123 am 10.04.2019 08:35:52# 1
Guten Tag,

kurze Frage wie es in meinem Fall aussieht.
Ich habe einen französischen Führerschein da ich dort gelebt habe. Jetzt lebe ich in Deutschland und habe vor 2 Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung in der Öffentlichkeit unter Alkoholeinfluss (1,8 Promille) 2 Monate auf Bewährung bekommen und eine MPU.

Auf einen anderem Forum wurde mir gesagt, dass wenn ich wieder nach Frankreich ziehen würde und dort gemeldet wäre, dann würde ich in Deutschland als Tourist angesehen werden, und dürfte wieder Fahren.

Stimmt das?

Danke im Voraus

    
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