Befristetes Anerkenntnis bei Berufsunfähigkeit. Geht das überhaupt?

Mehr zum Thema: Versicherungsrecht, Berufsunfähigkeitsversicherung, Anerkenntnis, Burn-out, Depression
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Ja, aber nur mit Einschränkungen urteilte das Oberlandesgericht München

Für viele Menschen mit einer Berufsunfähigkeit ist es zunächst eine Erleichterung, wenn die Versicherung ihre Leistungspflicht anerkennt. Doch zuweilen erfolgt dieses Anerkenntnis nur befristet oder bezieht sich auf bereits vergangene Zeiträume.

 - Was bedeutet ein befristetes Anerkenntnis eigentlich genau?

Jan-Martin Weßels
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Rechtsanwalt
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Berufsunfähigkeitsversicherung, Unfallversicherung

- Welche Rechte habe ich als Versicherter?

- Wann darf die Versicherung ihre Leistungen zur Berufsunfähigkeit wieder einstellen?

Diese Fragen waren Gegenstand eines Urteil des Oberlandesgerichts München. 

Die gute Nachricht: Das Gericht stärkt die Rechte der Versicherten. Besonders wichtig: Eine Befristung für die Vergangenheit ist nicht zulässig. Zudem muss die Versicherung bei einer Leistungseinstellung strenge Voraussetzungen erfüllen. Im Folgenden erläutern wir die wichtigsten Aspekte des Urteils und zeigen auf, worauf Sie als Versicherter konkret achten sollten.

Der Fall und seine Vorgeschichte:

Ein Versicherungsnehmer litt unter einem Burnout-Syndrom/mittelgradigen Depression, hier bezeichnet als psychosomatischen Syndroms im Sinne eines Burnouts von der Stärke einer leicht- bis mittelgradigen Depression. Er machte Ansprüche auf Berufsunfähigkeit aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Die Versicherung verhielt sich zunächst zögerlich, bis sie im Januar 2016 ein Anerkenntnis aussprach - allerdings mit zwei besonderen Merkmalen:- Sie befristete das Anerkenntnis der Leistungen rückwirkend für den Zeitraum März 2014 bis Juni 2015- Sie erklärte gleichzeitig, dass ab Juli 2015 keine Berufsunfähigkeit mehr vorliege. Der Versicherte klagte gegen diese Entscheidung. Nach einer Niederlage vor dem Landgericht hatte er vor dem Oberlandesgericht München teilweise Erfolg.

Die zentralen Entscheidungen des Gerichts. 

Zur Frage der rückwirkenden Befristung.

Das Gericht stellte klar: Eine Versicherung kann ihr Anerkenntnis der Leistungspflicht für eine Berufsunfähigkeit nicht rückwirkend für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum befristen. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Befristungsregelung in § 173 VVG:

- Eine Befristung soll bei unsicherer Sachlage einen schnellen Leistungsbeginn ermöglichen. 

- Für die Vergangenheit besteht diese Unsicherheit nicht mehr. 

Wann darf die Versicherung ihre Leistungen einstellen?

Das Oberlandesgericht München hat in Übereinstimmung mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der Gesetzes- bzw. Bedingungslage in seiner Entscheidung klare Vorgaben gemacht, unter welchen Voraussetzungen eine Versicherung ihr Anerkenntnis und ihre Leistungen zur Berufsunfähigkeit bei einer Gesundheitsverbesserung (hier des burn-outs bzw. der Depression) einstellen darf. Die Hürden dafür sind bewusst hoch angesetzt. m Zentrum steht die Pflicht der Versicherung, eine wesentliche und dauerhafte Verbesserung des Gesundheitszustands nachzuweisen. Dabei reicht es nicht aus, dass der Versicherte sich zeitweise besser fühlt oder einzelne Symptome nachlassen. Die Versicherung muss vielmehr konkret darlegen, wie sich der Gesundheitszustand im Vergleich zum Zeitpunkt der ersten Leistungsanerkennung zur Berufsunfähigkeit verbessert hat. Besonders wichtig: Die Versicherung muss aufzeigen, wie sich die gesundheitliche Verbesserung auf die berufliche Leistungsfähigkeit auswirkt. Es muss nachvollziehbar dargelegt werden, warum der Versicherte seinen konkreten Beruf - so wie er ihn vor der Erkrankung ausgeübt hat - nun wieder zu mindestens 50 Prozent ausüben kann. Eine pauschale Behauptung der Besserung genügt nicht. Die Beweislast liegt dabei vollständig bei der Versicherung. 

Sie muss alle drei Elemente nachweisen:

- Die konkrete gesundheitliche Verbesserung

- Die Nachhaltigkeit dieser Verbesserung

- Die Auswirkung auf die berufliche Leistungsfähigkeit.

Denn die Nachprüfung ist das Spiegelbild der Erstprüfung. Für Versicherte bedeutet dies einen wichtigen Schutz vor vorschnellen Leistungseinstellungen zur Berufsunfähigkeit. Die Versicherung muss ihre Entscheidung sorgfältig begründen und dokumentieren. Erfüllt die Mitteilung diese Anforderungen nicht, bleibt das Anerkenntnis bestehen. 

Die dreimonatige Übergangsfrist bei Leistungseinstellung:

Das Urteil des OLG München wendet auch die vertragliche Regelung zur Nachleistungspflicht richtig an. Die Einstellung der Leistungen wurde erst mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Änderungsmitteilung  wirksam. Selbst wenn die Versicherung eine Gesundheitsverbesserung feststellt, darf sie ihr Anerkenntnis und demzufolge ihre Leistungen nicht sofort einstellen. Das Gericht bestätigt die in den Versicherungsbedingungen vorgesehene dreimonatige Übergangsfrist. Konkret bedeutet dies: Die Berufsunfähigkeits-Leistungen müssen noch bis zum Ende des dritten Monats nach Zugang der Mitteilung weitergezahlt werden. Im entschiedenen Fall hatte die Versicherung ihre Mitteilung Ende Januar 2016 verschickt - die Leistungen mussten daher noch bis Ende April 2016 erbracht werden. Diese Regelung hat einen wichtigen sozialen Schutzzweck: Sie soll Versicherten die Möglichkeit geben, sich auf die neue Situation einzustellen. Die drei Monate verschaffen Betroffenen Zeit, um:

- Sich beruflich neu zu orientieren

- Die finanzielle Situation anzupassen

- Rechtlichen Rat einzuholen

- Gegebenenfalls gegen die Entscheidung vorzugehen.

Für die Praxis besonders wichtig: Die Frist beginnt erst mit dem tatsächlichen Zugang des Schreibens beim Versicherten. Eine rückwirkende Einstellung der Leistungen zur Berufsunfähigkeit ist nicht zulässig, selbst wenn die Versicherung die gesundheitliche Verbesserung für einen früheren Zeitpunkt nachweisen kann. 

Fazit: Der Versicherer musste trotz Gesundheitsverbesserung länger zahlen.

Eine weitere Besonderheit des Falles war, dass explizit in den Bedingungen geregelt war, dass vorübergehende (Gesundheits-)Verbesserungen zuungunsten des Versicherungsnehmers nicht zu berücksichtigen seinen. Damit könnte das Urteil besondere Bedeutung für Fälle insbesondere mit psychischen Erkrankungen wie Burnout oder Depression haben. Gerade bei diesen Krankheitsbildern können Versicherungen versucht sein, ihr Anerkenntnis der Leistungen bei ersten Anzeichen einer Besserung einzustellen. Der Grund liegt in der besonderen Natur psychischer Erkrankungen: Ihre Verläufe sind typischerweise von Schwankungen geprägt. Phasen der Besserung können sich mit Rückschlägen abwechseln. Eine vorübergehende Stabilisierung bedeutet noch nicht, dass der Versicherte auch den beruflichen Belastungen wieder gewachsen ist. Genau dies müssen Versicherungen aber nachweisen, wenn sie ihre Leistungen einstellen wollen. Besondere Bedeutung kommt dabei den ärztlichen und psychologischen Gutachten zu. Die medizinischen Unterlagen müssen nicht nur den aktuellen Gesundheitszustand beschreiben, sondern auch eine fundierte Prognose zur beruflichen Leistungsfähigkeit treffen, mit anderen Worten: Kann aufgrund der Verbesserung des Gesundheitszustandes der oder des Versicherten die sogenannte Negativprognose (häufig 6 Monate), die im Erstprüfungsverfahren noch bejaht wurde,  nicht mehr gestellt werden. Dabei sind die konkreten Anforderungen des jeweiligen Berufs zu berücksichtigen - eine allgemeine Besserung der psychischen Verfassung reicht nicht aus. Sollte der oder die Versicherte auch ferner wieder seit einem gewissen Zeitraum zu über 50% leistungsfähig sein, darf auch dies zudem nicht nur vorübergehend sein, so dürfte die Klausel wohl zu verstehen sein. Letztlich bejahte das Gericht aber hier die Dauerhaftigkeit der Gesundheitsverbesserung. Aber dennoch ist die Botschaft des Gerichts klar: Bei psychischen Erkrankungen muss die Versicherung besonders sorgfältig prüfen und nachweisen, dass eine festgestellte Verbesserung auch tatsächlich nachhaltig ist und die Rückkehr in den Beruf ermöglicht.

Hintergrund: Die Anwälte des Klägers versuchten noch mehr für den Berufsunfähigen herauszuholen, nämlich mit der Argumentation, dass eine maßgebliche Verbesserung erst dann gegeben wäre, wenn die positive Prognose zu stellen wäre, dass der Kläger für mindestens sechs Monate wieder im Stande sein wird, seine letzte Tätigkeit wieder auszuüben bzw. erst dann von einem Wegfall der Leistungsvoraussetzungen auszugehen wäre, wenn der Versicherungsnehmer sechs Monate im Stande war, seinen Beruf wieder auszuüben. Damit scheiterten Sie allerdings vor Gericht bei dessen Auslegung des Versicherungsvertrags unter Hinweis auf den Wortlaut der maßgeblichen Versicherungsklausel:


"...Die Auffassung des Klägers, dass die Beklagte insoweit hätte beweisen müssen, dass der Kläger voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mehr als 50% würde ausüben können, teilt der Senat nicht. § 12 Abs. 4 Satz 1 AVB lautet: „Ist die Berufsunfähigkeit oder die Pflegebedürftigkeit weggefallen oder hat sich der Grad der Berufsunfähigkeit auf weniger als 50 Prozent vermindert, werden wir von der Leistung frei." Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (st. Rspr. BGH, z.B. BGHZ 211, 51).„....Maßgeblich ist nach dem Wortlaut der Klausel, dass die Berufsunfähigkeit weggefallen ist oder sich der Grad auf weniger als 50% vermindert hat. Dem wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehmen, dass es darauf ankommt, dass die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit, wie sie in § 2 der AVB definiert sind, nicht mehr vorliegen. Maßgeblich ist daher, dass der Versicherte nicht mehr infolge Krankheit oder Körperverletzung außer Stande ist, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Ist eine Verbesserung des Gesundheitszustands eingetreten und aufgrund dieser Verbesserung eine solche Prognose nicht mehr zu stellen, ist die Berufsunfähigkeit weggefallen (Bruck/Möller, Baumann, VVG, 9. Aufl. 2019, § 174 VVG, Rz. 37). Anhaltspunkte dafür, dass eine maßgebliche Verbesserung erst dann gegeben wäre, wenn die positive Prognose zu stellen wäre, dass der Kläger für mindestens sechs Monate wieder im Stand sein wird, seine letzte Tätigkeit wieder auszuüben oder gar, dass erst dann von einem Wegfall der Leistungsvoraussetzungen auszugehen wäre, wenn der Versicherungsnehmer sechs Monate im Stande war, seinen Beruf wieder auszuüben, bietet der Wortlaut nicht. Auch der Sinn und Zweck der Klausel legt eine solche Auslegung nicht nahe. Die Berufsunfähigkeitsversicherung soll den Versicherungsnehmer für die Zeit absichern, in der er gesundheitlich voraussichtlich dauerhaft nicht in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Ist dies aufgrund einer gesundheitlichen Verbesserung nicht mehr der Fall, kann der Versicherungsnehmer die Leistungen nicht mehr beanspruchen. Allein die Möglichkeit einer zukünftigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes schließt ein Entfallen der Leistungspflicht nach § 174 VVG nicht aus. Ebenso wenig wie die Erwartung künftiger Gesundheitsverbesserungen eine Vorab-Leistungseinstellung zum Nachteil des Versicherten rechtfertigt (dazu BGH, Urt. v. 11.12.1996, IV ZR 238/95, VersR 1997, 436), kann die bloße Möglichkeit erneuter Verschlechterungen dem Versicherer das Recht zur Einstellung von Leistungen an einen Versicherungsnehmer, bei dem die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit aktuell nicht mehr vorliegen, abschneiden (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 25.02.2015, Az. 5 U 31/14, juris, Rz 128). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der in seinem Urteil vom 03.11.1999, Az. IV ZR 155/98, deutlich gemacht hat, dass der Begriff der Berufsunfähigkeit in §§ 2 und 7 der dort vorliegenden Versicherungsbedingungen deckungsgleich ist. Der Wortlaut des § 7 der dortigen Bedingungen entsprach insoweit maßgeblich dem Wortlaut des hier einschlägigen § 12 AVB. Eine andere Definition der Berufsunfähigkeit je nachdem, ob es um den Eintritt oder den Fortbestand gehe, kommt nach der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Betracht. ..."


Besprechung des Urteils: OLG München, Endurteil v. 01.08.2024 – 25 U 7500/22 e 

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