Invaliditätsversicherung muss trotz angeborener Krankheit leisten

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Invaliditätsversicherung muss trotz angeborener Krankheit leisten

Unwirksamkeit des Ausschlusses (BGH, Urteil vom 26.09.2007, Az. : IV ZR 252/06)

1. Einleitung

Bei der Invaliditätsversicherung handelt es sich um eine Zusatzversicherung, die oft zusätzlich bei Abschluss einer regulären Unfallversicherung für den Rundum-Sorglos-Schutz angeboten wird. Diese Versicherung dient dem Schutz der Kinder. Dabei wird Versicherungsschutz für die während der Wirksamkeit des Vertrages durch Krankheit oder Unfall des Kindes unfreiwillig eingetretene Invalidität abgeschlossen. Als Invalidität gilt dabei z. B., wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des versicherten Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Weiterhin muss nach dem Schwerbehindertenrecht ein deutlicher Grad der Behinderung (50 %) vorliegen.

Die meisten (alten) Versicherungsbedingungen sehen dabei vor, dass Versicherungsschutz dann nicht besteht, wenn die aufgetretene Krankheit angeboren ist oder im ersten Lebensjahr des Kindes auftritt. Problematisch ist daran, dass der Kunde bzw. Versicherungsnehmer eine Versicherung abschließt, bei der wesentliche Rechte und Pflichten des Vertrages in deutlicher Form eingeschränkt werden. Dies lässt erhebliche versicherungsrechtliche Bedenken aufkommen. Prüfungsmaßstab ist dabei aber auch das allgemeine bürgerliche Recht bzw. die Kontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen (Versicherungsbedingungen).

2. Der Fall

Dem BGH lag ein Fall zur Entscheidung vor, wo aufgrund eines ererbten Blutgerinnungsdefektes eine wohl angeborene Behinderung vorlag, aber erst nach Abschluss des Vertrages zutage trat. Eine Versicherungsleistung wurde abgelehnt. Der Versicherer berief sich darauf, dass eine angeborene Erkrankung vorläge, für die bedingungsgemäß kein Versicherungsschutz bestünde.

Der BGH hat sich sodann mit dem Leistungsausschluss näher beschäftigt. Er sah darin einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und sah außerdem eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Zum einen sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar, was unter einer angeborenen Krankheit zu verstehen sei. Vor dem Hintergrund des medizinischen Forschritts bzw. der Genetik fielen auch solche Krankheiten unter den Begriff der angeborenen Erkrankung, die für den Versicherungsnehmer erst später (nach Vertragsschluss) erkennbar seien. Damit sei kaum abschätzbar, was alles aus dem versicherten Risiko herausfiele.

Damit würden aber zugleich wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergäben, so eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet werde. Denn Sinn eines entsprechenden Versicherungsvertrages sei, die versicherte Person gegen das Risiko einer Invalidität „durch schwere Krankheit oder Unfall" abzusichern. Derartige Krankheiten beruhten aber oft nicht auf einer neuen Entwicklung eines gesundheitlichen Prozesses sondern darin, dass sich ein angeborener Verlauf in einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit manifestiere.

Der so verstandene Vertragsinhalt widerspreche aber den gesetzlichen Wertungen. Denn unabhängig davon, ob der Antragsteller die Erkrankung bei Vertragsschluss erkenne, könne der Versicherer zurücktreten. Entgegen der Vorschrift des § 16 VVG (alte Fassung, jetzt § 19 VVG-2008), wonach eine im Einzelfall vorzunehmenden Risikoprüfung nur dann einen Ausschluss vorsieht, wenn der Versicherungsnehmer schuldhaft (also wenigstens fahrlässig) einen bereits vorliegenden Risikoumstand nicht kennt, bedeute der formularmäßige Risikoausschluss, dass selbst unbekannt gebliebene Vorerkrankungen beachtlich wären. Diese führe im Ergebnis zu einer unzulässigen Aushöhlung der Hauptleistungspflicht des Versicherers.

Daher sei die durch die Klausel vorgesehene Beschränkung sowie die Klausel selbst unwirksam.

3. Fazit

Dem BGH ist in jeder Hinsicht Recht zu geben. Es ist ein Schlag in das Gesicht der Eltern des betroffenen Kindes, wenn diese eine Versicherung für den Fall einer Behinderung des Kindes abgeschlossen haben und sodann unter Berufung auf einen unerkannten Gendefekt die Zahlung verweigert wird. Dies ist schwerlich als transparent und angemessen anzusehen.

Sollten Sie also eine betreffende Versicherung abgeschlossen haben, beachten Sie bitte die vorstehend skizzierte wichtige Entscheidung des BGH. Die meisten Versicherer haben jedenfalls bei den Altverträgen eine entsprechende Klausel verwandt und es ist kaum zu erwarten, dass im Leistungsfall kulant darauf hingewiesen wird, dass die Bedingungswerke höchstrichterlich angefochten wurden und insoweit doch eine Leistung zu beanspruchen ist.

Die Erfahrung des Autors im Bereich der Lebensversicherungsverträge, wo seit der wichtigen BGH-Judikatur zu undurchsichtigen Klauseln im Bereich des Rückkaufwertes bzw. der Stornokosten viel in Bewegung ist, zeigt, dass Versicherer durchaus im Einzelfall immer wieder versuchen, den höchstrichterlichen Spruch aus Leipzig aufzuweichen.

Immer wieder klopft der BGH Versicherungsbedingungen auf Ihre Verbraucherfreundlichkeit bzw. Ihre Vereinbarkeit mit vertraglichen Grundsätzen ab.

Sollte es Sie also treffen, lassen Sie sich nicht vorschnell verunsichern, sondern suchen sich besser anwaltliche Hilfe. Dabei sollten Sie sich vorsorglich erkundigen, ob der eingeschaltete Anwalt auf dem Versicherungsrecht spezialisiert ist. Gerade im Bereich von Berufsunfähigkeit, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Lebensversicherung oder Invaliditätsentschädigung pp. ist viel versicherungsrechtliches Spezialwissen gefragt.


Burgwedel, den 29.02.2008
©Hans-Christoph Hellmann
Rechtsanwalt

RA Hellmann ist u. A. Mitglied der Arbeitsgemeinschaften Verkehrsrecht und Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein. Darüber hinaus hat er den Fachanwaltslehrgang Versicherungsrecht erfolgreich absolviert.

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