Lebensversicherung: Kündigen? Widerrufen? Behalten?

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Ein Leitfaden zur aktuellen Rechtslage im Lebensversicherungsrecht

Ein Lebensversicherungsvertrag endet entweder durch den Ablauf zum vereinbarten Zeitpunkt. Sie erhalten dann den vom Versicherer ermittelten vereinbarten Rückkaufswert. Sie können den Vertrag aber auch vorzeitig kündigen oder - in bestimmten Fällen - den Widerspruch erklären. Das geht auch noch nach Jahren, sogenanntes „ewiges Widerspruchsrecht".

Was passiert bei einer Kündigung?

Wenn Sie Ihren Lebensversicherungsvertrag kündigen, dann ermittelt Ihr Versicherer den Rückkaufswert. Dieser fällt oft deutlich niedriger aus als erwartet. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Gerade bei fondsgebundenen Versicherungsverträgen sind oft die erwarteten Gewinne nicht eingetreten oder sind sogar Gelder verloren gegangen. Dies führt zu niedrigen Rückkaufswerten.

Ein anderer Faktor sind die Grundlagen, auf denen der Versicherer den Rückkaufswert ermittelt: So werden diverse Abzüge vorgenommen, etwa für Abschlusskosten, Stornogebühren und ähnliches.

Hier besteht ein erhebliches Optimierungspotenzial: In einer Vielzahl von Entscheidungen haben der Bundesgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht, diverse Oberlandesgerichte und Landgerichte entschieden, dass diese Klauseln oft unwirksam sind. Das bedeutet, dass der Versicherer Abschlusskosten, Stornokosten und ähnliche Abzugsposten nicht berechnen darf und hier Nacherstattungen vornehmen muss.

Insbesondere bei Berechnung von Abschlusskosten können ganz erhebliche Nachschläge verlangt werden: Die Abschlusskosten werden zu Beginn des Vertrages unter anderem für die Kosten des Vertriebes (z. B. Makler) vom Versicherer bezahlt und dann versteckt durch ein versicherungsmathematisches Verfahren auf die Beiträge umgelegt. Der Versicherungsnehmer bekommt davon nichts mit: Er zahlt jeden Monat gleichbleibende Beiträge ohne zu wissen, dass gerade in sogenannten Frühstornofällen, wenn der Vertrag also zu einem Zeitpunkt gekündigt wird, in dem noch nicht viele Prämien bezahlt worden sind, ganz erheblich mit Verlusten zu rechnen ist, die erst nach langer Dauer aufgefangen werden können. Bei einer Nacherstattung ist auch der Zins- und Zinseszinseffekt zu berücksichtigen, sodass hier nicht selten mehrere Tausend Euro nachverlangt werden können.

Im Falle einer Kündigung sollte auch stets nachgerechnet werden, ob der Versicherer die Berechnungen sorgfältig und richtig vorgenommen hat. Insbesondere bei versprochenen Garantiezinsen und im Hinblick auf eine vereinbarte Überschussbeteiligung muss man genau prüfen, ob der Versicherer noch etwas nachentrichten muss.

Wann kann ich dem Vertrag widersprechen?

Weit interessanter ist die in vielen Fällen gegebene Möglichkeit, dem Vertrag auch noch nach langer Zeit (und noch nach Jahren) zu widersprechen.

Verträge, die in der Zeit von 1994 - 2007 abgeschlossen worden sind, wurden in der Regel nach dem sogenannten „Policenmodell" abgeschlossen.

Wie funktionierte der Vertragsschluss nach dem „Policenmodell"?

Unter welchen Voraussetzungen dies rechtlich zulässig war, regelte § 5 a VVG in der alten Fassung. Die Wirkungsweise dieser Bestimmung hat der BGH in seinem Urteil vom 16.07.2014 (IV ZR 73/13) wie folgt umschrieben:

„Diese Vorschrift regelte den Vertragsschluss nach dem sogenannten Policenmodell. Es betraf Fälle, in denen der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei dessen Antragstellung die Versicherungsbedingungen zunächst nicht übergeben und eine den Anforderungen des § 10 a VAG a. F. genügende Verbraucherinformation unterlassen hatte. Der Antrag des Versicherungsnehmers stellte das Angebot zum Abschluss des Vertrages dar. Dieses nahm der Versicherer dadurch an, dass er dem Versicherungsnehmer mit der Versicherungspolice die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die für den Vertragsabschluss maßgebliche Verbraucherinformation übersandte. Durch die Annahme kam der Vertrag aber noch nicht zustande, vielmehr galt er gemäß § 5 a Absatz 1 Satz 1 VVG a. F. erst dann als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen (später 30 Tagen) nach Überlassung der vollständigen Unterlagen schriftlich widersprach. Bis zum Ablauf der Frist war von einem schwebend unwirksamen Vertrag auszugehen. Der Vertrag erlangte rückwirkend zum Zeitpunkt der Vertragsannahme Wirksamkeit, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der Widerspruchsfrist von seinem Recht zum Widerspruch keinen Gebrauch gemacht hatte."

Bei einem Vertragsabschluss nach § 5 a VVG a. F. erhielt der Versicherungsnehmer die Allgemeine Versicherungsbedingungen, die vorgeschriebenen Verbraucherinformationen sowie die Widerspruchsbelehrung erst zusammen mit dem Versicherungsschein, der Police, daher die Bezeichnung „Policenmodell".

Im Zusammenhang mit dem Policenmodell sind zwei verschiedene Fallgruppen relevant, die nachfolgend als „kranke" und „gesunde" Fälle bezeichnet werden.

Was gilt in einem „kranken" Fälle (keine oder fehlerhafte Widerspruchsbelehrung)

Bei den „kranken" Fällen besteht ein Widerspruchsrecht auch noch nach Jahren (BGH, Urteil vom 07.05.2014, IV ZR 76/11; EuGH, Urteil vom 19.12.2013, C 209/11). Zwar bestimmte § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG in der alten Fassung, dass das Recht zum Widerspruch unabhängig von der Einhaltung der verbraucherschützenden Bestimmungen, also Widerrufsbelehrung, Übersendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Verbrauchinformation, auf jeden Fall ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlöschen sollte. Dies hatte zur Folge, dass Versicherungsnehmer ihr Widerspruchsrecht unter Umständen verloren, ohne jemals darüber informiert worden zu sein. Der Europäische Gerichtshof und in Umsetzung dieser Entscheidung der BGH haben die Jahresfrist gekippt, sodass bei nicht erfolgter Widerspruchsbelehrung das Widerspruchsrecht auch noch nach Jahren ausgeübt werden kann.

Die sogenannten „kranken" Fälle sind gegeben, wenn

  • Sie niemals über Ihr Widerspruchsrecht belehrt worden sind,
  • die Ihnen erteilte Widerspruchsbelehrung formell- oder materiell-rechtliche Fehler aufweist,
  • wohl auch dann, wenn Sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Verbraucherinformationen nie erhalten haben (umstritten).

Was gilt in „gesunden" Fällen?

Weit öfter liegen sogenannte „gesunde" Fälle vor. Das sind die Fälle, in denen der Vertrag „sauber" nach dem Policenmodell geschlossen worden ist. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer entweder bereits bei Antragstellung alle Informationen vorliegen hatte oder spätestens mit Übersendung des Versicherungsscheins eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung, die Verbraucherinformationen und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen erhalten hatte.

Hier kann ebenfalls ein „ewiges Widerspruchsrecht" ausgelöst sein. Dies deshalb, weil das Policenmodell eine nationale Regelung war, die auf der Umsetzung zweier Richtlinien der Europäischen Union (Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung) basierte. Der deutsche Gesetzgeber ist ganz erheblich von den Vorgaben der Richtlinie abgewichen, die vorsah, dass der Versicherungsnehmer bei seiner Vertragserklärung (also wohl der Antragstellung) vollständig informiert sein muss. Aus diesem Grunde wurde seit längerer Zeit diskutiert, dass in der deutschen Regelung des § 5 a VVG insgesamt ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht liegen könnte und die Regelung somit keine Wirksamkeit entfaltet.

Die Meinung des BGH

In einer zweiten Entscheidung vom 16.07.2014 hat der BGH - für Fachkreise überraschend - das Policenmodell als gemeinschaftsrechtskonform eingeordnet (BGH, Urteil vom 16.07.2014, IV ZR 73/13).

Der BGH hat argumentiert, dass das Policenmodell als solches - abgesehen von der unwirksamen Jahresfristregelung - dem Unionsrecht entspreche, sodass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht geboten sei. § 5 a VVG a. F. stehe im Einklang mit den im EuGH-Urteil genannten Richtlinien, da diese keine Vorgaben zum Zustandekommen des Versicherungsvertrages enthielten und nicht bezweckten, das materielle Versicherungsvertragsrecht zu harmonisieren. Daraus folgt zunächst, dass in den „gesunden Fällen", in denen der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen übergeben wurden, die Verträge wirksam sind.

Dagegen: Das BVerfG

Anders sieht dies das Bundesverfassungsgericht: In einer Reihe von Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die Begründung des BGH, auf die sich diverse Oberlandesgerichte in Parallelentscheidungen gestützt hatten, für falsch erachtet und die dortigen Verfahren zurückverwiesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass letztinstanzliche deutsche Gerichte verpflichtet sind, die Frage der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit oder Konformität des Policenmodells dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Wenn dies unterbleibt, dann liegt ein Verstoß gegen Verfassungsrecht vor (Art. 103 GG), darüber hinaus ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht (Vorlagepflicht gemäß Art. 267 AEUV).

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist aber noch nicht erfolgt, ein solches Verfahren ist derzeit auch noch nicht eingeleitet. Leider hat das Bundesverfassungsgericht seine klare Rechtsauffassung zur Vorlagepflicht mittlerweile auch verwässert. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich auch über die Entscheidung des BGH vom 16.07.2014 zu befinden gehabt und wollte wohl den Kollegen Bundesrichtern am BGH nicht „auf den Schlips treten". Nicht anders ist zu erklären, dass ausgerechnet in dieser Entscheidung das Bundesverfassungsgericht zwar an der bisherigen Rechtserfassung zur Vorlagepflicht festhielt, gleichzeitig die Entscheidung des BGH aber nicht aufhob mit der Begründung, es liege eine nicht gemeinschaftsrechtliche Alternativbegründung (in diesem besonderen Fall Verwirkung) vor.

Unklar, wann wann der EuGH entscheidet

Somit ist nach wie vor offen, ob und gegebenenfalls wann eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolgen wird. Die zugrunde liegende Rechtsfrage - Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodell - bedarf nach wie vor der Klärung.

Wenn diese Frage abschließend geklärt wird, dann dürfte der weit überwiegende Teil der bis zu 100 Millionen aktiven Lebensversicherungsverträge in Deutschland betroffen sein.

Ein Blick auf Ihren Vertrag lohnt sich also.

Wie läuft die Rückkaufwertoptimierung ab?

Unabhängig davon, ob eine Kündigung oder ein Widerspruch erfolgt, müsste ein bezifferter Anspruch gegen den Versicherer geltend gemacht werden. Bezüglich bestimmter Punkte bestehen auch Auskunftsrechte, die geltend gemacht werden. Wir würden dann ermitteln, in welcher Höhe maximal eine Rückkaufwertoptimierung möglich ist.

Welche Zahlungsansprüche stehen mir im Falle der Kündigung zu?

Im Falle einer Kündigung wird geprüft, ob der Versicherer unzulässige Abzüge vorgenommen hat. Diese müssten dann, gegebenenfalls mit Zinsen, erstattet werden, ebenso die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Kosten bei Verzug.

Welche Zahlungen stehen mir beim Widerspruch zu?

Bei einem Widerspruch muss der Versicherer sämtliche eingezahlten Prämien ohne Kürzung erstatten. Lediglich für den im Kapitallebensversicherungsvertrag mitenthaltenen Anteil der Risikolebensversicherung muss sich der Versicherungsnehmer einen kleinen Abzug gefallen lassen. Wie hoch dieser ausfällt, steht noch nicht fest. Die Rechtsprechung schwankt hier zwischen 1 ‰ und 4 % (in letzterem Fall war auch eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einbezogen). Letztendlich dürfte sich der Abzug bei ca. 1 ‰ bis 1 % einpendeln.

Darüber hinaus gibt es starke Stimmen in der Rechtsprechung, die auch Nutzungszinsen zusprechen. Dies bedeutet, dass der Versicherer für die aus den eingezahlten Prämien gezogenen Nutzungen Wertersatz leisten muss. Versicherer weigern sich in der Regel, diesen Nutzungsersatz zu bezahlen, es gibt aber eine Reihe von Entscheidungen, die einen solchen Anspruch zusprechen. Die Nutzungszinsen ergeben sich in der Regel aus dem Geschäftsbericht des Versicherers und betragen im Schnitt 5 %.

Damit lässt sich in der Regel eine deutlich bessere Rendite erzielen, als mit dem Vertrag erwirtschaftet oder über Garantiezinsen versprochen.

Nutzen Sie unseren Service: Wir prüfen für Sie, ob eine Rückkaufswertoptimierung möglich ist, wie die Chancen und Risiken für eine Durchsetzung stehen, ob eine Finanzierung über den Rechtsschutzversicherer möglich ist und in welcher Höhe maximal mit einer Erstattung zu rechnen ist und setzen Ihren Anspruch auf Wunsch durch.

Leserkommentare
von Broker49 am 07.08.2015 07:37:45# 1
Guten Morgen,

das klingt ja alles schön und gut, doch was ist mit einem Riester Vertrag.
Ich habe ca. 2003 einen fondgebundenen Riestervertrag bei der Allianz abgeschlossen und jetzt festgestellt, dass die Bearbeitungsgebühren regelmäßig die staatliche Zulage auffressen

Mit freundlichen Grüßen
    
von Rechtsanwalt Dr. Sven H. Jürgens am 10.08.2015 14:13:23# 2
Hallo Broker49,

bei einer Riesterrente handelt es sich um eine besondere Form des Lebens- bzw. Rentenversicherungsvertrages. Es gilt das in meinem Beitrag gesagte, allerdings gelten steuerrechtliche Besonderheiten und gibt es Konstellationen, in denen das Betriebsrentengesetz zu beachten ist. Wenn Sie möchten kann ich den Vertrag gerne prüfen.

Mit freundlichen Grüßen
    
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