Irrtum bei Gebot im Rahmen einer Zwangsversteigerung

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Abgrenzung einzelner Irrtumsarten

§ 119 Abs. 1 BGB: wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum (Inhaltsirrtum) war  oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

Kann jemand, der in einer Zwansversteigerung den Zuschlag erhalten hat, diese Erklärung anfechten, weil er irrtümlich glaubte, dass ihm bei der Gebotsabgabe das Bestehenbleiben von Rechten nicht bekannt gewesen sei?

Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn schon der äußere Tatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist z.B. dann der Fall beim Verkauf eines Grundstückes mit der Flurbuchbezeichnung X in der Annahme, Vertragsgegenstand sei das Nachbargrundstück Y (Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, § 119 Rn. 11). Ein solcher Irrtum scheidet aus, wenn die betreffende Person im Versteigerungstermin ein Gebot abgeben wollte. Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt jedoch über die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung. Dies ist z.B. der Fall bei der Annahme einer Erbschaft durch Stillschweigen in Unkenntnis des Ausschlagsrechts (BayObLGZ 83, S. 153). Nicht nach § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar sind dagegen Erklärungen, die auf einen im Stadium der Willensbildung unterlaufenen Irrtum, der so genannte Motivirrtum, oder auf einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen beruhen, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten (so genannter Rechtsfolgenirrtum). Ein Motivirrtum liegt vor, wenn der Erklärende irrtümlich von einem falschen Umstand ausgeht. Diese falschen Umstände motivieren ihn zur Abgabe einer Willenserklärung. Der Motivirrtum ist grundsätzlich unbeachtlich. Ausnahmsweise beachtlich ist der Motivirrtum in den Fällen des § 119 Abs. 2 BGB. Beim Irrtum über verkehrswesentliche Sachen gemäß § 119 Abs. 2 BGB stimmen Wille und Erklärung überein, lediglich bei der Willensbildung ist dem Erklärenden bezüglich der Eigenschaften der Person oder Sache ein Irrtum unterlaufen. Ohne diesen Irrtum wäre die Willenserklärung nicht oder jedenfalls nicht so abgegeben worden (Rechtslexikon24.net). Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person sind z.B. das Alter, die Sachkunde oder die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit bei Verträgen, die auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Parteien angelegt sind (Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, § 119 Rn. 26). Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind z.B. beim Kunstwerk dessen Echtheit (Palandt-Heinrichs, aaO., § 119 Rn. 27). Ein Rechtsfolgenirrtum ist gegeben, wenn die Vorstellung des Erklärenden über die eintretende Rechtsfolge und die wirklich eintretende Rechtsfolge auseinanderfallen (Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann). Die Fehlvorstellung eines Bieters bei der Abgabe des Gebotes, dass das Grundstück nach den Versteigerungsbedingungen lastenfrei zu erwerben sei, ist daher kein Irrtum über den Inhalt des Gebots, der nach § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung einer Willenserklärung berechtigt. Eine Fehlvorstellung des Bieters, welche Rechte bei einem Zuschlag bestehen bleiben, betrifft die Versteigerungsbedingungen. Die nach Maßgabe des  Gesetzes sich an den Zuschlag auf das Meistgebot anknüpfenden Rechtsfolgen beruhen nicht auf der Willensentschließung des Bieters bei der Abgabe seines Gebotes. Der Umstand, dass die Fehlvorstellung des Bieters sich auf eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge bezieht, schließt allerdings eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB noch nicht in jedem Falle aus. Ein Inhaltsirrtum kann auch darin begründet sein, dass der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern auch solche, die sich davon unterscheiden (BGH, Beschluss vom 5.  Juli 2006, Az. IV ZB 39/05). Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher und mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum. Der Rechtsfolgenirrtum eines Bieters über die zu übernehmenden Rechte ist nicht als ein wesentlicher Irrtum über den Inhalt des Gebotes anzusehen, der nach § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung berechtigt. Ausschlaggebend ist, dass der Bieter sein Gebot in einem gesetzlich geregelten Verfahren abgibt. Die von dem Bieter gewollte Rechtsfolge ist vor allem darauf gerichtet, in dem von dem Vollstreckungsgericht geleiteten Bietgeschäft Meistbietender zu werden und damit den Zuschlag nach Maßgabe der Versteigerungsbedingungen zu erhalten. Nach den dem Bietgeschäft zugrunde liegenden Bestimmungen des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung sind die Gebote nur noch nach dem bar zu zahlenden Betrag entsprechend dem von dem Bieter insgesamt zu tragenden Aufwand unter Anrechnung des Kapitalbetrages der zu übernehmenden Rechte abzugeben. Die Teilnahme am Bietgeschäft danach von dem Bieter zwar, zur Bestimmung seiner tatsächlichen Belastung bei der Abgabe eines Gebotes auch die Rechte am versteigerten Grundstück zu berücksichtigen, die nach Maßgabe der Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben. Diese Rechtsfolge ist aber nicht mehr Teil seines Gebotes, sondern eine mittelbare Rechtsfolge der von allen Bietern zu berücksichtigenden Bedingungen der Versteigerung, die in die Kalkulation jeden Gebotes einfließen muss. Unterläuft dem Bieter in diesem Stadium der Willensbildung ein Fehler bei der Berechnung seines Gebotes, so handelt es sich um einen Motivirrtum, der von keinem der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsgründe erfasst wird.

 Quelle: BGH, Beschluss vom 05.06.2008, Az. V ZB 150/07