Mediation in der anwaltlichen Praxis: Grundsätzlich gerne, aber nicht hier?

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Die vier häufigsten Einwände streitender Parteien gegen eine Mediation

Mediation ist in Mode. Sie hat in den vergangenen Jahren durch den Gesetzgeber eine erhebliche Aufwertung erfahren. Zunächst die europäische Mediationsrichtlinie 2008 (pdf) und daran anknüpfend dann das deutsche Mediationsgesetz aus dem Jahr 2012 haben einen Rechtsrahmen für den Einsatz eines neutralen Vermittlers im Rechtsstreit geschaffen. Die Zahl der Mediationsfälle nimmt stetig zu, allerdings ist das Wachstum der Fallzahlen deutlich geringer, als die mediale Aufmerksamkeit vermuten ließe.

Eine Schlüsselrolle für den Einsatz von Mediationsverfahren kommt der Anwaltschaft zu. Denn Rechtsanwälte sind die erste Anlaufstelle für den Umgang mit rechtlichen Konflikten. Entsprechend großen Einfluss haben sie darauf, welche Verfahren bei der Lösung dieser Konflikte zum Einsatz kommen. Häufig liegt ein bedürfnisorientiertes Verfahren wie die Mediation im Interesse beider Parteien. Dennoch zeigt die anwaltliche Erfahrung, dass der Vorschlag einer Mediation häufig auf erhebliche Skepsis stößt. Grund genug für einen Blick auf die vier häufigsten Einwände gegen den Einsatz des Mediationsverfahrens – und auf gute Argumente, um Bedenken gegenüber der Mediation auszuräumen.

1. Verhandlungen brauchen keinen neutralen Vermittler!

Das erste Argument gegen Mediation ist einfach: Verhandeln kann man auch ohne einen Vermittler. Wenn die Parteien mit ihren Rechtsanwälten bereits zwei Verhandlungsprofis eingeschaltet haben, welchen zusätzlichen Nutzen kann dann noch ein Mediator bringen?

Die Sorge darum, mit einer zusätzlichen Investition in den Mediator nur gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen, ist verständlich. Die Erfahrung lehrt indes, dass sich diese Investition auszahlt. Denn gute Mediatoren verfügen über das Know-how für einen strukturierten und interessenorientierten Einigungsprozess. Und wichtiger noch: Aufgrund ihrer Neutralität genießen sie in notwendigem Unterschied zu den Rechtsanwälten bei beiden Parteien eine Autorität, die die Verhandlungen in ein konstruktives Fahrwasser lenken kann.

Ohne die Hilfe eines Mediators landen die meisten Verhandler früher oder später auf dem klassischen Basar: Man stellt überzogene Forderungen, rückt davon nur schrittchenweise ab und einigt sich am Ende nach langem Lavieren in der Mitte. Zwischenzeitlich hat man ein Gericht zur Bekräftigung seiner Forderungen eingeschaltet und damit weitere Kosten generiert, die letztlich beiden Parteien von der Einigungsmasse abgehen. Das Honorar eines Mediators nimmt sich im Vergleich zu diesen Kosten in der Regel verschwindend gering aus.

Natürlich gelingt es Anwälten auch immer wieder, ohne die Hilfe eines Vermittlers gute Verhandlungsresultate zu erzielen. Gerade in komplexen Fällen, die sich einer zügigen Einigung verschließen, wäre aber eine Mediation häufig im allseitigen Interesse. Gerade wenn die Parteien nach einer schnellen und selbstbestimmten Ergebnis ohne langen Schriftsatzwechsel suchen, beschleunigt die Einschaltung eines Mediators das Verfahren und führt in der Regel zeitnah zu einer Lösung mit hoher Parteizufriedenheit.

2. Dieser Fall ist rechtlich sonnenklar!

Ein zweiter häufig vorgebrachter Einwand gegen die Mediation lautet, dass diese wohl nur zu einem Kompromiss führen könne, während vor Gericht ein voller Erfolg winke. Rechtlich eindeutige Fälle aber seien ungeeignet für konsensorientierte Verfahren.

Das Problem daran: Es gibt zumindest jenseits des Verbraucherrechts wenige streitige Fälle, die tatsächlich rechtlich sonnenklar sind. Ansprüche sind zwar schnell gestellt, ihre rechtlichen Voraussetzungen aber unzweifelhaft nachzuweisen ist in aller Regel kein einfaches Unterfangen. Das zeigt sich spätestens, wenn man einen vermeintlich sicheren Anspruch einer sog. Prozessrisikoanalyse (Kurzdarstellung von Risse/Haller im pdf) unterzieht: 100% Erfolgschancen nach dem Bauchgefühl schrumpfen dann leicht zu der Hälfte zusammen. Gleichzeitig ist natürlich auch für Anspruchsgegner kaum sicher vorherzusagen, ob ein Gericht die zunächst schwach erscheinende Klage nicht doch für begründet halten wird. Diese Unsicherheit, die häufig auch nach Hinzuziehung anwaltlicher Hilfe bestehen bleibt, öffnet den Raum für konsensorientierte Verfahren wie die Mediation.

Dabei macht die Mediation nicht nur die rechtliche Unsicherheit beherrschbar. Sie kann darüber hinaus auch außerrechtliche Bedürfnisse befriedigen. So banal es klingt: Ursache oder zumindest Anlass vieler Rechtsstreitigkeiten ist die Tatsache, dass die Beteiligten zuvor einander nicht mehr zugehört haben. Konsensorientierte Verfahren wie die Mediation bringen die Parteien fast automatisch dazu, dass sie wieder einander zuhören. Das schafft Raum zur Äußerung von Sorgen und Befürchtungen wie auch zur Aufklärung von Fehlannahmen, die sich im Zuge der Eskalation der Streitigkeit ergeben haben. Das wiederum erleichtert gegenseitiges Verständnis und bereitet den Weg für gemeinsame Lösungen. Häufig fördert dieses Verständnis die Bereitschaft, sich nicht unbedingt auf weniger als beansprucht, aber auf andere Lösungen als ursprünglich vorgeschlagen einzulassen.

3. Ein Mediationsvorschlag signalisiert Schwäche!

Eine dritte Befürchtung, die häufig gegen Mediation vorgebracht wird: Man sei ja offen gegenüber einer konstruktiven, konsensorientierten Verhandlung, allerdings sende man mit dem Vorschlag einer Mediation ein klares Signal von Schwäche. Denn auf ein Kompromissverfahren weiche doch nur derjenige aus, der sich seiner Sache juristisch nicht sicher sei und daher vor einem Gerichtsverfahren zurückscheue.

Diese Sorge beruht auf der Annahme, in einer Mediation einige man sich immer auf ein Ergebnis in der Mitte zwischen den Positionen der Parteien. Dabei gehen Mediationsverhandlungen gerade über die Dimension rechtlicher Ansprüche hinaus. Deswegen ist es durchaus nicht unüblich, dass eine der Parteien ihren rechtlichen Anspruch ganz überwiegend durchsetzt, während die andere im Mediationsvergleich vor allem außerrechtliche Bedürfnisse befriedigen kann. Wer sich seiner Sache mit guten Gründen juristisch sehr sicher ist, kann in einer Mediation durchaus klar kommunizieren, warum er sich im Recht wähnt. Im Unterschied zum üblichen Schriftsatzwechsel hat er in einer Mediation sogar eine gute Chance, mit seiner Sichtweise ernst genommen zu werden.

Wer den Vorschlag einer Mediation danach immer noch für ein Signal der Schwäche hält, mag es mit einem sog. Pledge versuchen. Das Wort „Pledge“ bedeutet im Deutschen so etwas wie eine „generelle Absichtserklärung“. Rechtsanwälte können auf diesem Wege eine kooperative und mediationsfreundliche Grundhaltung ausdrücken: Ein kurzes Statement auf dem Briefbogen oder der Webseite verdeutlicht, dass Mediation keine Strategie der Schwäche im Einzelfall, sondern Ausdruck einer grundsätzlich interessenorientierten Strategie ist.

4. Grundsätzlich gerne, aber nicht hier!

Ein letzter Einwand gegen Mediation – und womöglich der häufigste: Die Mediation sei ein sehr überzeugendes und vorteilhaftes Verfahren, das sicher vielfach gute und tragfähige Lösungen ermögliche. Aber: Hier im konkreten Fall verhalte sich die Gegenseite so nachgerade uneinsichtig, dass eine Mediation keinen Erfolg haben könne.

Diese Haltung ist häufig der vorläufige Endpunkt eines Eskalations- und Polarisierungsprozesses, in dessen Verlauf die Parteien zunehmend übereinander statt miteinander sprechen und schließlich auf Basis einer Reihe von ungeprüften Annahmen und Befürchtungen davon ausgehen, dass ihr Gegenüber durch und durch böswillig sei. Diese Einschätzung findet sich freilich auf beiden Seiten und führt zu einer unversöhnlichen Verhandlungsstimmung, bei der eine Einigung in weite Ferne rückt.

Keine Frage: Um einer Mediation zuzustimmen, müssen in dieser Situation alle Beteiligten über ihren Schatten springen. Dabei liegt es nicht zuletzt in der Verantwortung der beteiligten Anwälte, Überoptimismus im Hinblick auf die Rechtslage zu dämpfen und gegenseitiges Verständnis der Parteien zu fördern. Dabei kann es hilfreich sein, dem Mandanten bei verbleibenden Zweifeln an der Eignung des Mediationsverfahrens für den konkreten Fall ein Gespräch mit einer Vertrauensperson zu empfehlen, die sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung auch ein Stück weit in die Gegenseite einfühlen kann. Nicht jeder Betroffene ist im Konfliktfall in der Lage, bereits erfolgte Zuschreibungen und Anschuldigungen zugunsten eines konsensorientierten Verfahrens fallen zu lassen. Die hohe Erfolgsquote der Mediation (ca. 75-80%) zeigt aber, dass sich dieser Schritt lohnt.

Für Rechtsanwälte stellt die Mediation eine wichtige Erweiterung der Möglichkeiten zur Verwirklichung der Mandanteninteressen dar. Gerade bei Konflikten mit mittlerem und hohem Streitwert lassen sich mit einer Mediation nicht nur erhebliche Gerichtskosten sparen, sondern auch wesentlich besser kalkulierbare und nachhaltigere Ergebnisse mit höherer Mandantenzufriedenheit erreichen. Durch eine qualifizierte Mediationsausbildung können sich Anwälte in der Rolle als Parteivertreter in der Mediation oder für die Tätigkeit als Mediator fortbilden.