Welche Rechte haben Auszubildende, die ausgenutzt werden?

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Wenn die Lehrlinge das Klo putzen müssen…

.. .dann kann das mal eine Ausnahme sein. Schließlich gibt es die unterschiedlichsten Ausbildungsstätten und Ausbilder in kleinen Firmen und Betrieben, die sich selber nicht zu schade sind, gelegentlich zu Putzlappen und Scheuermilch zu greifen.

Doch was ist, wenn der Ausbilder den Auszubildenden ausnutzt?

Von Rechtsanwältin Regina Kohn

Unser Auszubildender, nennen wir ihn Frank, bekommt einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb mit um die 100 Mitarbeitern und ohne Betriebsrat. Es gibt auch keinen richtigen Ansprechpartner für ihn, falls er mal ein Problem hätte. Frank denkt sich erst gar nichts dabei. Er will voran kommen und ist sowieso froh, dass er durch Eigeninitiative einen Platz gefunden hat. In der Berufsschule läuft alles Bestens für ihn.

Es gibt noch andere Auszubildende in der Firma. Die sind mehr oder weniger gut drauf und weihen ihn prompt in die Ausbildungsinterna ein.

Da ist Marco, der im 1. Ausbildungsjahr ist und noch nicht volljährig. Für ihn gilt deshalb zusätzlich das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG). Marco muss immer einen Bus früher nehmen und dann 45 Minuten vor der Firma warten, bis aufgeschlossen wird. Er muss pünktlich sein, um nicht seinen Ausbildungsplatz zu riskieren, auf den er nach langer Suche so stolz ist. Bei jedem Wetter von 7.15 bis 8.00 Uhr steht er vor’m Tor.

Dann ist da Jens, der Abiturient. Er ist schon 19 und hat einen Führerschein. Jens muss ständig nach Süddeutschland fahren – an einem Tag hin und zurück 900 Kilometer – um einen abgelaufenen Wagen zur Leasing zurück zu bringen und den neuen gleich mit zu nehmen. Er darf dann einen Freund dabei haben, damit es nicht so langweilig wird. Jens ist lieber stundenlang auf der Autobahn unterwegs als an seinem Ausbildungsplatz. Er findet es viel schlimmer, zusammen mit den anderen Azubis nach einem Unwetter im Keller der Firma, der regelmäßig unter Wasser steht, tagelang im Dreck zu hängen und aufzuräumen. Zur Belohnung gibt es dann ein T-Shirt aus der Boutique der Frau vom Chef.

Für seinen eigentlichen Ausbildungsberuf lernt er gar nichts. Er hat sich aber noch nie offiziell beschwert, weil er sowieso alles mit Links in der Berufsschule erledigt und dann Informatik studieren will.

Sagen wir, es gibt in dem Unternehmen 5 Auszubildende in 3 Ausbildungsjahren. Sie bilden sich gegenseitig aus, weil es sonst keinen Ansprechpartner für sie gibt. Es sei denn, sie werden zum Beispiel in der Marketingabteilung gebraucht oder im Vertrieb, um stundenlang Unterlagen zu kopieren und zusammen zu heften. Natürlich gibt es in allen Abteilungen unautorisierte Mitarbeiter, die es gut mit ihnen meinen.

Sie übertragen ihnen spontan komplizierte Aufgaben oder sogar Projekte, weil keine Fachkraft Zeit oder Lust hat. So what? Der Sprung in’s kalte Wasser hat noch keinem geschadet.

Es gibt eine weibliche Auszubildende, Tatjana, die aus Russland stammt. Sie ist 17 und sehr hübsch. Es scheint ihr nichts auszumachen, dass sie ständig von den Männern im Vertrieb angemacht wird. Die meisten sind verheiratet und deutlich älter als sie. Es gibt sogar Fotos von einer Abschiedsfeier für Schüler-Praktikanten. Die hat jemand im Intranet rundgemailt und man sieht Tatjana darauf zusammen mit etlichen Kollegen, die sie im Arm halten.

Ist das alles ausgedacht? Nein. Lediglich die Namen sind geändert. Die Firma gibt es leider und es ist zu befürchten, dass es anderswo ähnlich zugeht.

Haben Auszubildende Rechte?

Ja. Über ihre Rechte werden sie sogar in der Berufsschule unterrichtet. Natürlich auch über ihre Pflichten.

Maßgeblich ist übergreifend das Berufsbildungsgesetz (BBiG), das zum 01.04.2005 in einer neuen reformierten Fassung in Kraft getreten ist. Die Reform war ein Politikum. Nach dem Motto: „Die Bundesregierung hat die umfassendste Novellierung des Berufsbildungsgesetzes seit seinem Inkrafttreten 1969 vorgelegt". Dabei wurden aber in erster Linie die theoretischen Ansprüche an eine Berufsausbildung geregelt. In Wahrheit wurden bereits vorhandene Paragrafen im Gesetz umgeschichtet. Vielleicht gibt es einen Bürokratieabbau durch die BBiG-Novelle, die jedoch den Kern der Berufsausbildung im Fall des einzelnen Auszubildenden nicht berührt. Es gelten außerdem für die einzelnen Ausbildungsberufe die Bestimmungen der zuständigen Kammern wie beispielsweise Handwerkskammer, Rechtsanwaltskammer usw.

Was Frank, Tatjana, Marco oder Jens angeht, haben sie alle ihre konkrete Ausbildungssituation, die einem Arbeitsverhältnis entspricht. In Kündigungsfällen entscheiden die Arbeitsgerichte. Für die Berufsausbildung gelten dann die Besonderheiten, die durch das BBiG existieren.

Wer von den Auszubildenden würde es auf einen Rechtsstreit mit dem Ausbilder ankommen lassen, solange er nicht von diesem gekündigt würde? Wenn Marco es nicht mehr einsieht, 45 Minuten vor der Zeit draußen zu warten und zu spät käme? Man würde ihn abmahnen und dann entlassen. Ein Arbeitsgericht hätte zu entscheiden.

Wenn Jens sich beschweren würde oder Tatjana? Sie würden sicher ihren Ausbildungsplatz verlieren. Ein Grund findet sich von Ausbilderseite immer.

In den Paragrafen 28, 29 und 30 BBiG ist geregelt, welche persönlichen und fachlichen Qualitäten Ausbilder vorweisen müssen. Im konkreten Fall kommt es auf die Auslegung an. Im Ernstfall haben darüber nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Es gibt nur ganz selten Fälle, in denen Auszubildende vor Gericht ziehen, um ihren (ehemaligen) Ausbildern die Eignung zur Ausbildung absprechen zu lassen. Warum das so ist, erklärt sich von selbst. "Wir sind froh, dass wir überhaupt eine Ausbildungsstelle finden und wir haben Angst, sie zu verlieren."

Der Missbrauch von Ausbilderseite ist immer noch groß. Manchmal ist er ungewollt und basiert auf mangelnder Qualifikation (= Eignung). Es gibt ganze Berufsgruppen, wie zum Beispiel die Rechtsanwälte, die allein deshalb ausbilden dürfen, weil sie eine Zulassung als Rechtsanwalt haben. Das gilt auch für Ärzte, Zahnärzte und andere „freie" Berufe.

Zurück zu Frank. Er handelt nicht unüberlegt, sondern wendet sich an die für ihn zuständige IHK oder Handwerkskammer, um sich von einem Ausbildungsberater schlau machen zu lassen. Der Ausbildungsberater kennt sich mit dem Ausbildungsrecht aus. Für einen Rechtsanwalt hat Frank kein Geld.

Ihm ist klar, dass er „draußen" ist, sobald er seinen Chef auf die Ausbildungszustände anspricht. Er lässt sich vorsorglich beraten, versucht, sich nichts anmerken zu lassen und hält Ausschau nach einem neuen Ausbildungsplatz. Inzwischen hat er 2 Gründer aus einem netten kleinen Internetstartup kennen gelernt und kann dorthin wechseln. Dort putzt er sogar das Klo regelmäßig und gerne. Genau wie seine beiden Chefs und die Praktikanten. Entweder während ihres Studiums oder danach, weil sie keinen Job finden.

Traurige Zeiten, in denen es eigentlich kein Recht auf Ausbildung gibt.

Was baut auf?

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat 1996 gesagt:

„Die persönliche Eignung ….. besitzen nur solche Ausbildende und Ausbilder, die die Gewähr dafür bieten, dass der Auszubildende charakterlich gefördert sowie sittlich und körperlich nicht gefährdet wird…
Die Nähe und Vertrautheit am Arbeitsplatz darf nicht dazu ausgenutzt werden, andere in ihrer geschützten Privatsphäre zu behelligen." (23.01.1996, Aktenzeichen 3 K 12881/94).

Rechtsanwältin Regina Kohn, Hannover