Umgang mit Meinungsverschiedenheiten
Mehr zum Thema: Meinung, Relationstechnik, Meinungsverschiedenheit, einerseits, andererseits, DiskursKonsens ist Nonsense - Wahrheit kann nicht durch Macht festgelegt werden
Der einzigartige Okko Behrends pflegte in seinen Vorlesungen zum Römischen Recht in Göttingen zu sagen:
Konsens ist Nonsense.
Weil das Wort Konsens vom Lateinischen consensus kommt, zeige man durch Betonung der ersten Silbe seine Unbildung. Richtigerweise wird die zweite Silbe betont.
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Der bei mir eingebrannte Spruch hat - wie mir beim neuerlichen Interview mit Matthias Burchardt durch Jasmin Kosubek aufgefallen ist - noch eine andere Dimension. Wissenschaftlicher Konsens ist eine Fiktion. Juristinnen und Juristen sollten dies eigentlich besonders wissen, haben dies seit März 2020 aber überwiegend vergessen. Wissenschaft lebt vom Widerlegen in redlicher Arbeit aufgestellter Hypothesen. Konsens oder "Fakten" sind nichts anderes als die Meinung der Herrschenden. Auch in anderen Hochkulturen wird die Meinungsverschiedenheit hochgeschätzt, etwa als Barmherzigkeit Gottes.
"einerseits... - anderseits..." gehört zur juristischen DNA.
Wir sprechen in unseren Gutachten bei der rechtlichen Subsumtion von einer Ansicht, einer anderen Ansicht oder Gegenauffassung, vereinzelten Stimmen in der Literatur, der herrschenden Meinung, der ständigen Rechtsprechung, einem Teil der Rechtsprechung, etwa dem Kammergericht mit seinen oftmals sehr klugen Entscheidungen, der Mindermeinung, der man ohne Punktabzug auch folgen darf, zumal wenn man diesen Begriff schon benutzt.
Auch in der Relationstechnik und in Urteilen kommt dieses audiatur et altera pars gut zum Ausdruck und wird den werdenden Juristinnen und Juristen im Referendariat eingeimpft. Zunächst wird der Sachverhalt der klagenden Partei dargelegt, dann die Darstellung der beklagten Partei. Was die Parteien jeweils wollen, ist im Wege der Hermeneutik ehrlich und unvoreingenommen dem Vortrag zu entnehmen.
In den Gründen sind sodann alle rechtlichen Argumente der Parteien abzuarbeiten, eben "einerseits... - andererseits..." oder auch nur "zwar..., aber..." - eine Art der Dialektik. Richterinnen und Richter dürfen sich nach freier Überzeugung in technischen Fragen auch abweichenden Gutachten anschließen, es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO.
Zum aufgeklärten Menschen gehört es, nicht blind dem gerichtlich eingeholten Gutachten zu folgen. Wenn ein Privatgutachten in der Bearbeitung der Fragestellungen überzeugender ist, muss nicht zwingend dem gerichtlichen Sachverständigen gefolgt werden.
Das Argument, man sei doch kein Mediziner, trägt nicht und ist ein ärmliches Zeugnis einer seit Kant nicht mehr zu billigenden Faulheit, sich ohne Anleitung von anderen seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Mehr Hermeneutik und Dialektik sind zur Bewältigung unserer aktuellen gesellschaftlichen Fragen dringend erforderlich. Gerade Juristinnen und Juristen sollten die Ersetzung eines echten Diskurses durch plumpe Macht erkennen und verhindern helfen.
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