Richtervorbehalt bei Blutproben und Beweisverwertungsverbot

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OLG Hamm bejaht Beweisverwertungsverbot nach polizeilich angeordneter Blutprobe

Es ist ein so genanntes Massendelikt, die Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr, und der Ablauf endet meist gleich: Die Polizeibeamten begleiten den Fahrer zur Blutentnahme bei einem Arzt und ordnen diese selbst an.

Das OLG Hamm hatte in einem konkreten Fall zu entscheiden, ob eine nach einer Trunkenheitsfahrt entnommene Blutprobe, die ohne richterlichen Beschluss entnommen worden war, als Beweis im Strafverfahren verwertet werden durfte.

Ausgangspunkt war folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte hatte am 01.Mai 2008 erheblich dem Alkohol zugesprochen. In diesem Zustand fuhr er mit seinem PKW gegen 19.05 Uhr durch die Ortschaft L, kam von der Fahrbahn ab und verursachte einen Unfall. Nichtsdestotrotz fuhr der Angeklagte weiter, parkte seinen PKW vor seinem Wohnhaus und legte sich ins Bett. Gegen 20.08 Uhr wurde auf Anordnung eines Polizeibeamten die Entnahme einer Blutprobe durchgeführt, bei der eine BAK von 2,6 °/oo ermittelt wurde.

Der Angeklagte wendete sich mit der Rüge der Verletzung des § 81 a StPO im Wege der Revision u.a. dagegen, dass das Amtsgericht die Blutprobe verwertet hatte.

Die Revision hatte insoweit Erfolg.

Aus der hier zu findenden Entscheidung vom 12.03.2009 - 3 Ss 31/09 (gekürzt):

".. .Die Rüge der Verletzung des § 81 a StPO ist begründet. Dadurch dass der Polizeibeamte... die Blutentnahme ohne Einschaltung eines Richters angeordnet hat, hat er gegen den in § 81 a Abs. 2 StPO geregelten Richtervorbehalt verstoßen. Die Voraussetzungen für eine Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 StPO lagen hier zwar vor. Es lag auch eine Anordnung nach § 81 a StPO vor. Der Angeklagte hat sich nicht etwa freiwillig der Blutprobenentnahme unterzogen. Die Anordnung zur Blutentnahme wurde jedoch ohne Einschaltung eines Richters trotz eines - ausweislich der vom Berichterstatter eingeholten Auskunft vom Amtsge­richt D. - im Jahre 2008 an allen Tagen in der Zeit von 6 Uhr bis 21 Uhr beim nach § 162 StPO für den gesamten Landgerichtsbezirk D., und damit auch für K., zuständigen Amtsgericht D. eingerichteten richterlichen Eildienstes von einem Polizeibeamten getroffen. Dies hat er nicht etwa wegen Gefahr im Verzuge getan, sondern - so die Urteilsfeststellungen -„entsprechend der langjähri­gen Praxis". Der Polizeibeamte hat sich mithin darüber, ob Gefahr im Verzuge vor­liegt und ihm deswegen die Anordnungskompetenz (ausnahmsweise) zusteht, über­haupt keine Gedanken gemacht. Auch die entsprechenden Teile der Ermittlungsakte, die der Senat aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge verwerten kann, ergeben für eine Prüfung der Frage (oder gar eine entsprechende Dokumentation), ob Gefahr im Verzuge vorliegt, keinerlei Anhaltspunkte. Auch objektiv ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gefahr im Verzuge. Diese Frage beurteilt sich danach, ob durch die vorherige Anrufung des Gerichts die Gefährdung des Untersuchungserfolges aufgrund einzellfallbezogener Tatsachen zu gewärtigen ist.... Das ist hier eher fernliegend. Der Sachverhalt war sehr einfach gelagert, so dass eine richterliche Anordnung auf telefonischem Wege einholbar gewesen wäre. Nicht jede richterliche Anordnung kann zwingend erst nach Aktenvorlage erfolgen.... Der richtige Beschuldigte stand fest, ebenso wie seine Alkoholisierung und der Verdacht bestimmter Verkehrsdelikte. Es ging um die Feststellung des Blutalkoholwertes, nicht um den Nachweis von Betäubungsmitteln, bei denen der Nachweis mit zunehmendem Abbau auch bei Rückrechnung schwieriger ist......
Warum aber bei dem vorlie­genden, einfach gelagerten Sachverhalt eine nennenswerte Verzögerung durch Ein­holung einer (telefonischen) richterlichen Anordnung, die zu einem Beweismittelverlust hätte führen können, zu erwarten gewesen wäre ist nicht erkennbar. Auch der Tatrichter, der von „besonderen Schwierigkeiten und Verzögerungen" durch die An­rufung des Eildienstes ausgeht, legt diese nicht näher dar. Eine Verzögerung wäre darüber hinaus noch weniger wahrscheinlich gewesen, wenn man zweistufig vorge­gangen wäre: Zunächst hätte man, wenn man z. B. wegen der bereits verstrichenen Zeit seit der Tat einen Beweismittelverlust wegen Unsicherheiten bei einer Rück­rechnung im Strafverfahren von einem BAK-Wert aufgrund einer wegen Verzögerun­gen bei der Einschaltung des Richters noch später entnommenen Blutprobe befürchtet hätte, den Angeklagten zunächst auf der Grundlage des § 81a StPO, dies dann aufgrund eigener Anordnung der Ermittlungsperson, festhalten und sich mit ihm auf den Weg zur Blutentnahme machen können. Während dessen - und noch vor der Blutentnahme selbst - hätte man dann noch versuchen können, fernmündlich die richterliche Anordnung für das weitere Vorgehen auf der Grundlage des § 81a StPO einzuholen.. .Eine Dringlichkeit der Blutentnahme, die noch nicht einmal die fernmündliche Beteili­gung des Richters erlaubte, ist hier also nicht evident. Der Senat schließt nicht aus, dass sich auch in Fällen wie dem vorliegenden eine solche Dringlichkeit ergeben kann, Dann müssen aber Umstände, wie z. B. die nicht sofortige Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters, dessen gleichzeitige Befassung mit anderen dringlichen Rechts­sachen oder seine Weigerung, ohne Vorlage schriftlicher Unterlagen zu entscheiden, vorliegen. Dem ist hier nicht so, jedenfalls sind weitere Umstände nicht dokumentiert.. .Der Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs. 2 StPO führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot.  In der Strafprozessordnung ist allerdings kein ausdrückliches Verbot der Verwertbar­keit von unter Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO erlangten Beweisen geregelt. Nicht jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot zieht damit ein Beweisverwer­tungsverbot nach sich. Die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot ist nach gefestigter, vom Bundesverfassungsgericht gebilligter obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Ab­wägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozess­ordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis" gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grund­satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Aus­nahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes. Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter einerseits und andererseits davon bestimmt, ob die Annahme von Gefahr im Vollzuge willkürlich erfolgte oder auf einer besonders groben Fehlbeurteilung beruhte.. .Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass - entgegen der Ausführungen im angefochte­nen Urteil - der Umstand, dass der Angeklagte gegen die angeordnete Blutproben­entnahme keinen Widerspruch (vor dem Polizeibeamten) erhoben hat, nicht relevant ist. Dass der Angeklagte sich widerstandslos einer polizeilichen Anordnung gebeugt hat, ist nur das, was grundsätzlich vom jedem Bürger erwartet wird und hat darüber hinaus keine Aussagekraft. Zwar ist hier zu berücksichtigen, dass die Straftatbestände, derer der Angeklagte verdächtig war, dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit (wegen des dahinter stehenden Schutzes insbesondere von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer) dem Schutz hoher Rechtsgüter dienen, während der Eingriff, dem sich der Angeklagte unterziehen musste, lediglich eine geringfügige Beeinträch­tigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in der Sache eine entsprechende richterliche Anordnung bei Einschaltung des Eil­dienstrichters rechtmäßigerweise erteilt worden wäre. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Anordnungskompetenz wenn auch nachrangig grundsätzlich auch dem Polizeibeamten zustand und damit der Verstoß weniger schwer wiegt, als wenn selbst dies gesetzlich nicht zugelassen wäre. Zudem handelt es sich nicht um einen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt, sondern nur um einen einfachgesetzlichen, bei dem Annahme eines Verwertungsverbots aus verfassungsrechtlichen Gründen unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen. Mindeststandards nicht geboten ist.... Auch der bei dem gegebenen Sachverhalt zwangsläufig fehlenden, aber - mit Ausnahme von Evidenzfällen - verfassungsgerichtlich geforderten Dokumentation zu den Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge, kommt hier hinsichtlich der Frage eines Verwertungsverbotes kein eigenständiges Gewicht zu. Im übrigen würde sie allein genommen auch kein Verwertungsverbot begründen können... .Dies alles vermag aber nicht darüber hinweg zu helfen, dass hier ein objektiv willkürliches Vorgehen bzw. ein grober Verstoß des handelnden Polizeibeamten bzw. der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft generell (weil nicht hinreichend dafür Sorge getragen wurde, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene des Polizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wird) vorlag, was ein (einfachgesetzliches) Verwertungsverbot begründet... In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass er sich - sowohl nach den Urteilsfeststellungen als auch nach dem relevanten Akteninhalt - keinerlei Gedanken über die Fragen von Gefahr im Verzuge und richterlicher Anordnungskompetenz gemacht hat oder eine entsprechende Prüfung vorgenommen hätte, sondern allein aufgrund „langjähriger Praxis" eine eigene Anordnung getroffen hat. Das ist schon unabhängig von der Betrachtung jeglicher verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung rechtlich bedenklich, da dies bereits nach dem Gesetzeswortlaut seit je her unabdingbare Voraussetzung für einen Verzicht auf die Einschaltung eines Richters war. Eine „langjährige Praxis" ist nicht geeignet, die gesetzlichen Anforderungen außer Kraft zu setzen.  Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei der Entwicklung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt um keine ganz junge Entwicklung mehr handelt. Die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Richtervorbehalt grundsätzlich zumisst, ist mindestens mit der Entscheidung vom 20.02.2001.. .deutlich geworden. In der Folgezeit ist die Bedeutung auch des einfachgesetzlichen Richtervorbehalts, u. a. auch bei § 81 a StPO, in der verfassungsgerichtlichen Recht­sprechung aufgezeigt und veröffentlicht worden.... Auch zum Zeitpunkt der hier in Frage stehenden Anordnung war daher die Relevanz des Richtervorbehalts nach § 81 a Abs. 2 StPO in der Rechtsprechung des BVerfG damit schon mehr als ein Jahr bekannt. Von einem Ausschluss der objektiven Willkür, weil zum Anordnungszeitpunkt die entsprechenden Rechts­fragen noch im Streit waren...., für einen allerdings zeitlich noch näher an der ersten der beiden oben genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelegenen Fall) kann daher nicht mehr die Rede sein. Vielmehr handelte es sich - so letztlich auch die entsprechende, bereits zitierte, Feststellung im angefochtenen Urteil - um die langfristige Fortführung einer bestehenden Praxis, welche mit der Rechtslage nicht in Einklang stand und letztlich die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts des § 81a Abs. 2 StPO begründet. Die Schwere des Verstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Polizeibeamter im Einzel­fall die Voraussetzungen des Richtervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sondern daraus, dass dessen Voraussetzungen - so das angefochtene Urteil - aufgrund langjähriger Praxis, also gleichsam einem „Fehler im System", ungeprüft geblieben sind. Der Fall liegt hier anders als der, der der Entscheidung des BGH in NStZ-RR 2007, 242, zu Grunde lag, in der ein Verwertungsverbot verneint wurde. Dort war zumindest versucht worden, den grundsätzlich vorgesehenen Eildienstrich­ter zu erreichen, was aber nicht gelang, so dass dann die Anordnung durch den zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt wegen Gefahr im Verzuge erfolgt ist. Eben­falls ist er anders gelagert, als der Fall, der der Entscheidung des BVerfG in NJW 2008, 3053, zu Grunde lag. Dort war die Verabsäumung der Einholung einer richterlichen Anordnung augenscheinlich nicht Ausfluss einer lang­jährigen Praxis, die eine Prüfung der Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge ersetzte... ."

Diese Entscheidung zeigt, dass eine ohne richterliche Anordnung durchgeführte Blutentnahme durchaus zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann, auch wenn es detailliert auf die Organisation des Eildienstes an den Gerichten vor Ort ankommt.